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Der Ego-Tunnel

Der Ego-Tunnel

Titel: Der Ego-Tunnel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Metzinger
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weitere Optimierung eine Abfolge von Fortbewegungsmustern zu erzeugen (D). Die beste Abfolge von Fortbewegungsmustern wird dann durch das physikalische System ausgeführt (E). (Foto: Josh Bongard.) 5
    Selbstmodelle sind eine Erfindung der natürlichen Evolution. Selbstmodelle können unbewusst sein, sie können evolvieren, und sie können auch in Maschinen erzeugt werden, die den Vorgang der biologischen Evolution nachahmen. In diesem Sinne gibt es also jetzt schon Systeme, die weder ausschließlich natürlich noch ausschließlich künstlich sind. Nennen wir solche Systeme einfach postbiotisch . Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die erste nicht mehr rein biologische Form von bewusstem Ichgefühl in einer solchen postbiotischen Ego-Maschine realisiert wird.
Wie man ein künstliches Erlebnissubjekt baut und warum wir es nicht tun sollten
    Unter welchen Bedingungen wäre die Annahme gerechtfertigt, dass ein gegebenes postbiotisches System auch bewusste Erlebnisse hat? Oder dass es sogar ein bewusstes Selbst besitzt und eine echte, bewusst erlebte Erste-Person-Perspektive ? Was verwandelt ein informationsverarbeitendes System in ein Erlebnissubjekt? Diese Fragen kann man auch zusammenfassen, indem man eine etwas einfachere und provokativere Frage stellt: Was braucht man, um eine künstliche Ego-Maschine zu bauen?
    Bewusst zu sein bedeutet, dass einem eine bestimmte Menge von Tatsachen verfügbar ist: all jene Fakten, die damit zu tun haben, dassman in einer einzigen Welt lebt . Darum braucht jede Maschine, die die Eigenschaft des bewussten Erlebens aufweist, ein integriertes und dynamisches Weltmodell. Ich habe diesen Punkt in Kapitel 2 diskutiert, als ich darauf hinwies, dass jedes bewusste System eine vereinheitlichte innere Darstellung der Welt braucht und dass die Informationen, die durch diese Darstellung integriert werden, gleichzeitig für eine Vielzahl verschiedener Verarbeitungsmechanismen verfügbar sein müssen. Diese phänomenologische Einsicht ist so einfach, dass sie oft übersehen wurde: Bewusste Systeme sind Systeme, die auf der Basis global verfügbarer Information operieren, und zwar mit Hilfe eines einzigen inneren Modells der Wirklichkeit. Im Prinzip gibt es nichts, was uns daran hinderte, eine Maschine mit einem solchen integrierten inneren Bild der Welt auszustatten, das zudem die Eigenschaft besitzt, dass es ständig aktualisiert werden kann.
    Eine andere Lektion vom Anfang dieses Buchs war, dass Bewusstsein in seinem innersten Wesen die Gegenwärtigkeit einer Welt ist. Damit ihr eine Welt erscheint, benötigt eine künstliche Ego-Maschine deshalb zwei weitere funktionale Eigenschaften. Die erste besteht darin, ihren inneren Informationsfluss auf eine Weise zu organisieren, die einen psychologischen Moment erzeugt, ein erlebnismäßiges Jetzt. Dieser Mechanismus könnte Einzelereignisse aus dem kontinuierlichen Fluss der physikalischen Welt herausgreifen und sie innerlich als gleichzeitig stattfindend darstellen (selbst wenn das gar nicht so ist), dann als geordnet und als aufeinanderfolgend in eine Richtung fließend – wie eine Perlenkette im Geist. Manche von diesen Perlen müssen größere »Gestalten« bilden, die dann als der erlebnismäßige Inhalt eines bestimmten Moments porträtiert werden können, als ein gelebtes Jetzt, der eigentliche Ursprung einer subjektiven Perspektive in der Zeit. Die zweite Eigenschaft muss sicherstellen, dass diese inneren Strukturen – also der Mechanismus des Gegenwartsfensters – durch das künstliche Bewusstseinssubjekt nicht als innerlich konstruierte Bilder erkannt werden können. Sie müssen transparent sein. In diesem Stadium würde dem künstlichen System eine Welt erscheinen: Die Aktivierung eines vereinheitlichten, zusammenhängenden Wirklichkeitsmodells innerhalb eines internerzeugten Gegenwartsfensters unter der Bedingung, dass keines von beiden als ein Modell erkannt werden kann, konstituiert das Erscheinen einer Welt. Das Erscheinen einer Welt ist Bewusstsein.
    Aber der entscheidende Schritt hin zu einer Ego-Maschine ist der nächste. Wenn ein System ein ebenso durchsichtiges inneres Bild von sich selbst in diese phänomenale Wirklichkeit einbetten kann, dann wird es sich selbst erscheinen. Es wird ein Ego werden und ein naiver Realist in Bezug auf all das, was sein Selbstmodell ihm sagt, dass es ist. Unsere Ego-Maschine würde sozusagen an dem Inhalt des Selbstmodells »kleben« und sich deshalb mit ihm identifizieren. Dann wird die

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