Der Ego-Tunnel
neurophysiologische Experimente durchführt, hat einen Abschluss in Philosophie.
Wenn man diese Überlegungen auf das gesamte Feld der Geisteswissenschaften erweitert, könnten aus einem Dialog mit der Anthropologie, der Ästhetik, der Literatur- und Filmwissenschaft unglaublich ergiebige Beiträge hervorgehen. Wie schon gesagt, kann sich eine reife soziokognitive Neurowissenschaft nicht auf das Scannen von Gehirnen in einem Labor beschränken. Sie muss offen sein für die Beiträge von all diesen Disziplinen. Ich bin da recht optimistisch. Ich sehe eine Zukunft mit einem ständig zunehmenden und anregenden Dialog zwischen der kognitiven Neurowissenschaft und den Geisteswissenschaften.
Teil III
DIE BEWUSSTSEINSREVOLUTION
Kapitel 7
KÜNSTLICHE EGO-MASCHINEN
Lassen Sie uns ab jetzt jedes System, das in der Lage ist, ein bewusstes Selbst zu erzeugen, als »Ego-Maschine« bezeichnen. Eine Ego-Maschine muss kein Lebewesen sein. Es kann alles sein, was ein bewusstes Selbstmodell besitzt. In jedem Fall ist es sicher vorstellbar, dass wir eines Tages in der Lage sein werden, künstliche Agenten zu konstruieren. Dies werden Systeme sein, die Zielrepräsentationen besitzen und ihre eigene Existenz aufrechterhalten können. Unter Umständen erlauben ihre Selbstmodelle ihnen sogar, Werkzeuge auf intelligente Art und Weise zu gebrauchen. Wenn sich ein Affenarm durch einen Roboterarm ersetzen lässt und wenn ein Affengehirn einen kompletten Roboterkörper in Japan direkt mit Hilfe einer Gehirn-Maschine-Schnittstelle kontrollieren kann, dann sollte es auch möglich sein, den gesamten Affen zu ersetzen. Warum sollte ein Roboter nicht in der Lage sein, die Gummihand-Illusion zu erleben? Oder einen luziden Traum zu haben? Wenn das System ein Körpermodell hat, dann liegen eindeutig auch Ganzkörper-Illusionen und außerkörperliche Erfahrungen im Bereich des Möglichen.
Beim Nachdenken über künstliche Intelligenz und künstliches Bewusstsein gehen viele Leute stillschweigend davon aus, dass es nur zwei Arten von informationsverarbeitenden Systemen gibt – künstliche und natürliche. Das ist falsch. In philosophischem Fachjargon gesprochen, ist die begriffliche Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Systemen nämlich weder erschöpfend noch exklusiv – das heißt, dass es intelligente und/oder bewusste Systeme geben könnte, die im Gunde keiner der beiden Kategorien ausschließlich angehören. Was eine andere altmodische Unterscheidung angeht, nämlich die zwischen Software und Hardware, so gibt es bereits jetzt Systeme, die biologische Hardware verwenden und dabeidurch künstliche (also menschengemachte) Software kontrolliert werden, und wir haben künstliche Hardware, auf der natürlich evolvierte Software läuft.
Hybride Bioroboter sind ein Beispiel für die erste Kategorie. Die hybride Biorobotik ist eine neue Disziplin, die auf natürlich evolvierte Hardware zurückgreift und sich nicht damit aufhält, etwas noch einmal zu erschaffen, das Mutter Natur bereits über Millionen von Jahre hinweg optimiert hat. Je näher wir den Grenzen künstlicher Computerchips kommen, desto mehr werden wir vielleicht organische, gentechnisch hergestellte Hardware für die von uns gebauten Roboter und künstlichen Agenten verwenden.
Abb. 16: RoboRoach , die Roboterkakerlake. Man kann die Körperbewegungen von Kakerlaken durch eine chirurgisch eingepflanzte Steuerungseinheit kontrollieren. Der »Rucksack« der Kakerlake enthält einen Empfänger, der Signale aus einer Fernsteuerungseinheit in elektrische Signale umwandelt, welche dann im Fuß ihrer Antennen einlaufen. Dies erlaubt es dem Benutzer, die Kakerlake anzuhalten, sie auf Befehl vorwärts oder rückwärts, nach rechts oder nach links laufen zu lassen. Auch Ratten oder fliegende Insekten lassen sich mittlerweile auf diese Weise erfolgreich steuern, indem man per Funk direkt in ihr Nervensystem eingreift. (Foto: Associated Press.)
Ein Beispiel für die zweite Kategorie ist der Einsatz von Software, die in ihrer Struktur durch natürlich entstandene neuronale Netze inspiriert ist, diesmal aber auf künstlicher Hardware. Manche dieser Ansätze verwenden sogar biologische neuronale Netze selbst – so haben Kybernetiker an der Universität von Reading in England gezeigt, wie man einen Roboter mit Hilfe eines Netzwerks von etwa 300 000 echten Nervenzellen aus einem echten Rattengehirn kontrolliert. 1 Wieder andere Beispiele sind die klassischen künstlichen neuronalen
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