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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Industrie- und Landwirtschaftsmesse wegzudenken war und deshalb bei jedwedem pompösen offiziellen Anlaß seinen Zweck erfüllte. Während der eigentlichen Unabhängigkeitszeremonie im Stadion hörte er ihn, genau in jenem Augenblick, als Kenyatta zu reden anfing, an der Peripherie des Himmels, und er tauschte mit Vivien Bayley, der jungen Frau des Verwaltungschefs der neuen Universität, Blicke voll gespannter Erwartung –aber obwohl sich der Hubschrauber nicht eigentlich entfernte, tauchte er doch auch nicht unmittelbar über den Köpfen auf, sondern begleitete das Geklirre der über Lautsprecher übertragenen Reden mit den gedämpften Geräuschen des Schnarchers, der sich gerade auf die andere Seite gedreht hat und nur noch deutlich vernehmbar die Luft einzieht und ausstößt. Später dann stellte man fest, daß einem Teil der Bevölkerung, die während der gesamten Feierlichkeiten auf dem nahe gelegenen Fußballfeld Schlange gestanden hatte, Gelegenheit zu kurzen Rundflügen für eine halbe Krone gegeben worden war; der Werbeschlager einer internationalen Zigarettenfirma.
    Neil Bayley, dessen Ankunft im Tribünenabschnitt für geladene Gäste sich durch irgendein häusliches Mißgeschick oder Mißverständnis sehr verzögert hatte, sollte das herausfinden. Bray war sich der wütenden Spannung bei dem jungen Paar an seiner Seite bewußt, während er daneben saß, hinter sich das Gedränge auf den Zuschauerrängen, vor sich, bis hin zu dem mit Samtbahnen drapierten und von einem Baldachin überdachten Podium, den mit Pressephotographen und Radio- und Fernsehteams übervollen Raum, die – inmitten all der feierlichen Zeremonien – wild entschlossen auf Zehenspitzen herumflitzten, mit sich dahinschlängelnden Kabeln, hochgehievten Apparaturen, die Finger an Auslösern und Blitzlichtern. Es war, als hätte man – während alles übrige so großartig für eine Theateraufführung vorbereitet worden war – einen Trupp Arbeiter samt Werkzeug vergessen und zurückgelassen. Diese Aktivitäten und die aufgeheizte Stimmung hinter den Kulissen eines wortlosen Streites neben ihm sorgten dafür, daß seine Aufmerksamkeit abgelenkt wurde auf eine andere, unordentliche Ebene, die den vorhergeplanten »großen Augenblicken« immer genau das zu nehmen schien, wodurch sie sich eigentlich als erhaben und ungetrübt ins Gedächtnis einprägen sollten. Hier war die symbolische Erfüllung all dessen, an das er geglaubt, das er gewollt und für das er ein Gutteil seines Lebens gearbeitet hatte: ausgedrückt im Brüllen der Menge, das in Abständen aufwogte und wieder verebbte, in den Togen, denordenbesetzten Röcken und weißen Handschuhen, im hellen Singsang der Frauen, in den strammstehenden Soldaten und der Sonne, die die messingblitzende Musikkapelle noch übertraf. Oder aber in den Dreirädern der Eisverkäufer, die am Fuße jedes Amphitheatersegments aus dunkelhäutigen Gesichtern warteten, oder in dem Köter, der hinauslief, um sein Bein am Podium des Präsidenten zu heben.
    Mweta hatte das mumifizierte Aussehen eines zum Kultgegenstand eines Rituals Gewordenen. Kaum aber war die Unabhängigkeitserklärung verlesen, wurde er, als erwachte er aus einem Trancezustand, zu einer unwiderstehlich lebendigen Persönlichkeit, die dort oben saß, alles um sich herum registrierte – ein Zuschauer, wie Bray es empfand, und ein Schaustück in einem. Bray war fast peinlich berührt, als er bemerkte, daß er einmal sogar seinen Blick auffing und kurz lächelte; aber unterdessen war es Mweta schon gewöhnt, daß man ihn ansah. Er redete mit der ältlichen englischen Prinzessin, die, die Knie manierlich Kuppe an Kuppe, in königlicher Haltung neben ihm saß, mit der sie auf seltsam deutliche Art zum Ausdruck brachte, wie sehr sie unter Zeremonien litt, und Bray sah, wie er sie auf eine Frauendelegation aus Gala aufmerksam machte, die sich, die Gesichter und Brüste zum Zeichen ihrer Freude weiß bemalt, unter den Musik- und Tanzgruppen aus verschiedenen Regionen in Reih und Glied aufgestellt hatte.
    Aber trotzdem kam nach Beendigung dieser Zeremonie und inmitten all der anderen Anlässe – dem Ball der Nation, den Cocktailparties, Banketten und Dinners – außerhalb der Palasttore Feierstimmung auf. Er war bei den meisten offiziellen Anlässen zugegen (in gespielter Überraschung salutierten er und Roly, wenn sie einander, halb noch in Abendanzügen, Nacht für Nacht im Haus begegneten), aber die wirklichen Feste fanden davor und danach

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