Der Ehrengast
statt. Sie entwickelten sich spontan, eins aus dem anderen, und wenn man einmal beim ersten mit dabeigewesen war, wurde man zu allen folgenden weitergereicht. Nur ein paar Leute kannte er wirklich, alle aber schienen ihn bereits zukennen, und viele waren Freunde von Freunden. Dando nahm ihn zu den Bayleys mit; da war Neil, der ein Freund von Mweta, und Vivien, die die Nichte von – sage und schreibe – Sir William Clough war, dem letzten Gouverneur, der gemeinsam mit Bray sein erstes Jahr als Beamter der Kolonialverwaltung in Tanganjika abgedient hatte. Die Bayleys waren Freunde von Cyprian Kente, Mwetas Innenminister, und dessen Frau Tindi, obendrein von Timothy Odara, einem der wenigen schwarzen Ärzte des Landes, mit dem Bray seinerseits selbstverständlich gut bekannt war. Mit jedem einzelnen erweiterte sich die Gruppe um ein weiteres Mitglied und nahm so – aus dem neuen internationalen Fundus der kleinen Hauptstadt – Polen, Ghanaer, Ungarn und Israelis, Flüchtlinge aus Südafrika und Rhodesien in sich auf.
Nach dem Ball der Nation wurde in einem Festzelt eine Privatparty gegeben, die die ganze Nacht hindurch dauerte. Roly Dando hatte versprochen vorbeizuschauen, und Bray kam natürlich mit. Eine Menge anderer Leute, die Bray auf dem Ball gesehen hatte, strömten in ihrer Festkleidung herein: Sie hatten bei den Vorbereitungen geholfen. Die bereits Anwesenden, die nicht beim Ball gewesen waren, begrüßten sie mit großem Hallo; auch sie hatten beschlossen, sich ausnahmsweise feinzumachen, und die beiden Gruppen von Frauen vermischten sich miteinander und überboten sich gegenseitig an Lautstärke. Alles unterhielt sich darüber, wie der Ball gewesen war, Champagner kam, eine Kapelle aus dem Kongo brachte Schwung in ihre Schritte, und die absurde Stimmung des wenig aufregenden Balls der Nation floß in die heitere Behaglichkeit der Party. Im Zelt standen dichtgedrängt die Stühle und Diwane, die man sich aus Privathäusern geborgt hatte, und Blumen, die aus ihren Gärten stammten. Jemand hatte eine Tafel mit einer Collage aus Vergrößerungen von Photos von Mweta aufgestellt – Mweta, wie er eine Ansprache hielt, wie er lachte, gähnte, neugierig einen Maschinenteil anfaßte, wie er abfuhr, ankam, ja, sogar wie er drohte. Die Mühe, die sie alle sich gemacht hatten, verlieh selbst den ausgelassensten Augenblicken dieser Nacht etwas Feierliches. Vivien Bayley,königlich mit ihren sechsundzwanzig Jahren, ihrem schönen, manierlichen, beherrschten Gesicht, kam nach ihren Pflichtrunden – um dieses junge Mädchen vor Belästigungen seitens eines älteren und schon mehr als angeheiterten Herren zu schützen, um einen Jüngling den Mädchen zu empfehlen, die von ihm Notiz nehmen sollten – herüber, um sich neben Bray niederzulassen. Sie war überrascht, als Bray sie zum Tanzen aufforderte, worauf er sich steif zu Rhythmen bewegte, die ihm unbekannt waren, ohne sich allerdings aus dem Takt bringen zu lassen, damit sie sich nicht neben den geschmeidigen Schwarzen blamierten. »Ich bin so froh, daß Sie tanzen«, sagte sie, und er schämte sich, daß er sie nur aus Höflichkeit aufgefordert hatte. »Neil tanzt nie – in meinen Augen ist es ein Fehler, diese Dinge aus bloßer Eitelkeit zu vernachlässigen. Tindi Kente tanzt wunderbar, nicht wahr – wiegt sich zur Musik wie eine Schlange –, mit ihr probiert er’s ab und zu. Wenn Cyprian nicht hinschaut, flirtet er leidenschaftlich gern mit ihr, aber kaum ist sie einmal soweit, daß sie auf dem Parkett ihren herrlichen Schlangentanz aufführt, steht er bloß wie Andrew da und zieht seine Füße nach.« Wahrscheinlich hieß eins ihrer Kinder Andrew; mit einer derart spontanen und selbstverständlichen Freundlichkeit von jemandem akzeptiert zu werden, das war so, als ob man gezwungen wurde, eine fremde Sprache zu erlernen, weil man feststellte, daß die Leute, mit denen man beisammen war, nur diese sprechen: Man ging von der Annahme aus, er würde Familien- und anderweitige Bande schon allein dadurch knüpfen, daß er mit ihnen zusammen war.
Jemand rief Viviens Namen, und sie wurden von der Tanzfläche weg an einen überfüllten Tisch gezogen. Eine junge Frau hatte ihre Ellbogen darauf gestützt, und zwischen den sie umrahmenden Armen quollen ihre weißen Brüste hervor. »Nehmen Sie mein Glas«, sagte sie, da kein anderes mehr da war. Sie stand auf, um tanzen zu gehen, zog, als sie sich vorbeiquetschte, ihren Bauch ein und hielt ihren weichen Körper in
Weitere Kostenlose Bücher