Der Ehrengast
der Bayleys ein Frühstück; die Gesichter wirkten magerer, aber ein paar von ihnen waren die ganze Nacht immer wieder im wechselnden Licht aufgetaucht, und nun, vor dem Hintergrund des rosa-grauen Himmels hinter der Veranda der Bayleys und über dem Duft von Kaffee hatte alles – der blonde, gelockte Kopf mit goldenen Ohrringen, die gerötete Haut auf den Schultern der Frauen – das Melodramatische von Zirkusfiguren. Im schräg einfallenden Sonnenlicht wünschten sie einander gute Nacht, während die Kinder der Bayleys schon auf dem Gras in ihren Pyjamas radfuhren.
Innerhalb weniger Tage hatten die Gesichter den künstlichen, gespenstischen Charakter jener ersten Nacht, der Nacht des Unabhängigkeitsballs, verloren und waren, wenn schon nicht zu etwas Vertrautem, so doch zu etwas geworden, auf das man vorbereitet war. Im und um das Haus der Bayleys machte sich eine junge Frau nützlich, die jetzt mit den vielen herumspielenden Kindern daherkam, um sie gleich darauf wieder wegzubringen. Es war Rebecca, Rebecca Edwards, die in ihrem Baumwollhemd und den Sandalen wie ein großes, etwas schlampiges Schulmädchen aussah und immer gehetzt mit den Autoschlüsseln klimperte, die an ihrem Zeigefinger hingen. Immer wenn irgend etwas mit Vereinbarungen, die man getroffen hatte, nicht klappte, wurde sie ausgesandt, um Leute abzuholen; eines Nachmittags holte sie in einem alten Kombi, in dem Bonbonpapier, einzelne Socken und Kinderspielzeug lagen, auch Bray ab. Sie war es gewesen, die ihm in jener Nacht des Unabhängigkeitsfestes ihr Glas überlassen hatte; der Pole, der die
Gazatska
getanzt hatte, entpuppte sich als jener Mann, mit dem er sich in einem stillen Winkel niederließ, um sich mit ihm ungestört über die sonderbare grammatische Struktur der Gala- und Lambala-Dialekte zu unterhalten. Die Atmosphäre bei den Festen entsprach seiner Vorstellung von derAtmosphäre, die bei Versammlungen geherrscht haben mußte, wie sie in russischen Romanen des neunzehnten Jahrhunderts beschrieben werden. Eifrig auf der Suche nach immer neuen Vergnügungen stürmten Kinder ein und aus. In verdunkelten Zimmern schliefen Säuglinge. Viele Hände beteiligten sich an der Zubereitung des Essens. Er selbst kam sich wie der Verwandte in mittleren Jahren vor, ein Mann mit einem gewissen Ruf, von dem man allerdings nichts Genaues wußte, der von weit her zur Hochzeit angereist war und sich nun widerstands-, wenn auch nicht lustlos, überallhin mitschleppen ließ. Es war auf eine sonderbare Weise die Fortsetzung dessen, was er bei den offiziellen Empfängen gewesen war, wo viele der Anwesenden sich kaum eine Vorstellung davon machten, wer dieser Weiße auf dem bescheidenen Ehrenplatz sein mochte; und einmal, während eines Pressedinners, nahm Gott sei Dank niemand von Mwetas Anspielung auf seine Person Notiz, die er als »eine der guten Feen« apostrophierte, die zugegen gewesen war, »als der Staat aus der Taufe gehoben wurde, und nun, da er seine Volljährigkeit erreicht hat, zurückgekehrt ist«. Das wurde zu
seiner
Geschichte der Unabhängigkeitsfeiern; ebenso wie die Geschichte vom Hubschrauber der Zigarettenfirma Neil Bayleys Geschichte war, die man wieder und wieder erzählte, wobei das private Drama zwischen Mann und Frau, aufgrund dessen er dem Ganzen zum Zeitpunkt des Geschehens keinerlei Beachtung geschenkt hatte, vergessen wurde.
Bray erkundigte sich überall nach Edward Shinza; kein Zweifel, er war bei keinem offiziellen Anlaß in Erscheinung getreten. Bray spürte, daß er irgendwo in der Nähe sein mußte; es war schwer, sich diese Tage ohne ihn vorzustellen. Sie gehörten ihm ebensosehr, wie sie Mweta gehörten. Aber niemand schien ihn gesehen zu haben oder zu wissen, wo er sich in der Hauptstadt aufhielt oder aufgehalten hatte. Andere Gesichter aus der Vergangenheit waren da; William Clough, der Gouverneur, der zur Begrüßung bei Mwetas Bankett überschwenglich seine buschigen Augenbrauen hob – wie damals immer, auf dem Tennisplatz inDaressalam. »James, Sie müssen kommen und meiner Frau guten Tag sagen, bevor wir von hier verschwinden. Ich wage nicht zu sagen, zum Essen – Sie wissen, wir sind obdachlos …«
»Onkel Willies Unabhängigkeitsscherz«, sagte Vivien. »Zaubert ein herzliches, weltmännisches Lächeln auf die Gesichter der Schwarzen.«
»Die Art von Lächeln, die sie von Onkel Willie gelernt haben«, sagte Neil.
Aber die Cloughs blieben Bray auf dem Umweg über Vivien auf der Spur. »Tante Dorothy
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