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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Geschäft mit der Umgehung des Handelsembargos geworden war und Tabak aus dem und Maschinen ins Land gebracht hatte. Während Edwards redete, kehrte sein Blick immer wieder zu Brays Hals zurück. »Da hat Sie was gebissen.«
    Sein Gesichtsausdruck gab zu verstehen, er habe es gar nicht bemerkt. Der Stein lag, inmitten des anderen Kleingeldes, in seiner Tasche – wie das, was früh am Morgen geschehen war, inmitten der belanglosen Witzeleien des Gesprächs in seinem Kopf lag.
    Die neun Männer wurden schuldig gesprochen, sie bekamen eine Geldstrafe. Die beiden anderen wurden nie vor Gericht gestellt; auf die persönliche Intervention des Präsidenten hin wurde die Anklage gegen sie fallengelassen.
     
    Beinahe täglich wurden Unruhen in dieser oder jener Provinz gemeldet.
    Jeder, der sich einen Fernsehapparat leisten konnte, verfolgte weiter die eingekauften Sendungen aus Amerika und England – Sport, Populärwissenschaftliches, alte Western und (wenn es sich um Weiße handelte) die Endlosserie der
Forsyte Saga
. Edna Tlume hatte einen Apparat gemietet, und für gewöhnlich fand sich während der Stunden, in denen der Sender in der Hauptstadt ausstrahlte, der gesamte Haushalt im verdunkelten Gemeinschaftswohnzimmer der Familien Tlume-Edwards. Einmal pro Tag gab es eine Nachrichtenübersicht (eine Zeitlang war Ras Asahe der Kommentator), aber der Sender konnte sich kein ständiges Team von Kameraleuten und Reportern für die Live-Aufnahmen von Ereignissen in der Heimat leisten. Der halbdunkle Raum – voll vom Plärren der Musik und dem Bellen der Tonbandstimmen, vom Geruch der ungewaschenen Kinder, des Currypulvers billiger Gerichte und von Nongwayes verschnittenem Tabak –, wo gerade ein Fußballspiel aus Madrid übertragen wurde oder ein Prozeß gegen Vietnam-Flüchtlinge, schien wirklicher als das, was in der Nachbarprovinz und im nächstgelegenenDorf passierte. Das schwere Grün Galas hing davor und sperrte es aus.
    Wenn seine Körpermasse den Eingang verdunkelte, stand Rebecca immer leise aus ihrem Leinenstuhl auf und stahl sich aus der Gruppe der Zuschauer davon; alle anderen blieben, ganz und gar in Anspruch genommen, zurück. Die beiden wurden nun selten von den Kindern belästigt; manchmal dachte er – und vergaß es auch gleich wieder –, daß er sie daran erinnern wollte, nicht zuzulassen, daß sie fernsehsüchtig würden. Sie saß da, ihre Kinder mit jeweils einem Körperteil in physischem Kontakt an sie gelehnt, das Kleinste manchmal schlafend in ihrem Schoß; was von ihr abstrahlte, war genug und mehr als ausreichend, dem entgegenzuwirken, was vor ihren Augen vorüberzog und wie ein Stein über die Oberfläche ihres Fassungsvermögens hüpfte. Er konnte das nachempfinden; er kannte die gleichbleibende Strömung ihres Körpers, seine beruhigende und energiespendende Wirkung. Nichts Böses konnte geschehen, solange man im Rhythmus dieses Fleisches atmete.
    Der Ehemann, Gordon Edwards, war wieder abgereist. Er hatte nicht herausgefunden, ob sie mit ihm geschlafen hatte – würde es wohl auch nie; sogar in dem Augenblick, in dem er ihre Beine mit seinem Knie auseinanderschob und in sie eindrang, dachte er daran. Ihren Augen sah man es jedenfalls nicht an, als sie, wie sie es manchmal gerne tat, auf ihm lag und in sein Gesicht blickte – ihr Gesicht offen ihm zugewandt –, wie es nur Liebende tun. Sie beschwerte sich, daß seine Augen wegen seiner Kurzsichtigkeit während der leidenschaftlichen Umarmung völlig ausdruckslos waren und er vor ihr verborgen blieb. »Nie kann ich sehen, was du denkst.«
    »In diesen Augenblicken denke ich nichts.« Sie aber war diejenige, die Geheimnisse hatte. Und doch waren ihre Löwinnenaugen (die eher braun wirkten, wenn sich ihre Pupillen erweiterten) nicht geheimnisvoll. Die kokette Lebendigkeit, die sie sich wie eine seltsame Form der Reserviertheit zugelegt hatte, als ihr Mann dagewesen war, war ebenfalls verschwunden. Es warklug von ihr gewesen, an jenem Morgen zu ihm zu kommen, weil es nun nicht das Problem gab, wie sie – sobald der andere wieder weg war – wieder zueinander finden würden: Es war schon geschehen, nie waren sie nicht beisammen gewesen – im praktischen, heimlichen Einverständnis der Freunde und der Umstände. Und doch war nichts »Raffiniertes« an ihr – in jenen Augen. Sie war einfach rückhaltlos
da
, nichts, das sie ihm vorenthalten, das sie vor ihm in Reserve gehalten hätte, nicht einmal ihre Geheimnisse. Also gab es ein Stadium, in

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