Der Ehrengast
dem man einander erreichen konnte und in dem selbst die Beziehungen, die jeder für sich zu anderen Personen hatte, zur Beziehung gehörte, die man zueinander hatte. Alles konnte das beinhalten, alles umfassen, nicht auf eine resignative Weise, sondern in einer subtilen Form von Begierde. Wenn ich für jede Form von Jungfräulichkeit, die an mir lächerlich wäre, zu alt bin, dann muß sie das auf ihre Weise ebenfalls sein. Es war schließlich nicht Naivität, die sie dazu imstande sein ließ, die Vorhänge für Olivias Ankunft herzurichten.
Er schrieb Olivia über die Streiks, die Aussperrungen und konfusen Ausdrucksformen der Unzufriedenheit, die – im Busch – die Form von Stammesreibereien annahmen. Er deutete nicht an, diese Atmosphäre sei der Grund dafür, daß sie nicht kommen solle. Aber keiner der beiden tat in seinen Briefen noch so, als käme sie. Er fragte sich nicht, weshalb sie, für ihr Teil, den Vorsatz fallengelassen haben sollte, denn – das war ihm ziemlich deutlich bewußt – es war ihm nur recht, daß sie es stillschweigend getan hatte. Er berichtete ihr von den Rindern, die aus Rache hingeschlachtet, von den Hütten, die niedergebrannt worden waren, und von der vorgeschlagenen Novellierung des Arbeitsrechts, das Streiks von Lehrern und Beamten für illegal erklärte. Sie schrieb von der wunderschönen Offizierstruhe, etwa aus der Zeit der napoleonischen Kriege, die sie und Venetia in einem Antiquitätenladen in einem Dorf aufgestöbert hatten, von einer Spritztour nach London, wo sie sich ein Stück über die inzestuöse homosexuelle Liebe zwischen zwei Brüdern angesehenhatten, das nicht habe aufgeführt werden dürfen, solange der Lord Chamberlain noch das Recht des Rotstifts gehabt hatte. Ihre jüngere Tochter Pat war zu Besuch aus Kanada dagewesen. Venetia und ihr Mann verbrachten viel Zeit im Haus in Wiltshire; Photographien des Babys, das lachend auf einer Blumenwiese lag, waren beigegeben. Er stieß immer wieder auf sie in dem Schrank, in dem Kalimo sie in einen zerbrochenen Aschenbecher gelegt hatte, und klemmte sie eines Nachmittags hinter die Ecken des Rahmens, in dem ohnehin schon ein Bild von Venetia mit dem Kind steckte, als Rebecca, übers ganze Gesicht strahlend und sehr erleichtert, hereinkam, um ihm zu sagen, daß alles in Ordnung sei und die Periode endlich eingesetzt habe. Sie war fast eine Woche überfällig gewesen. Sie nahm die Brille ab und küßte ihn, leidenschaftlich, dankbar: »Obwohl ich natürlich nach England fahren könnte, wenn es tatsächlich jemals passiert. Das halt ich mir immer vor Augen.« Er schenkte ihr Tee ein und strich ihr übers Haar. »England?«
»Hier ist es gesetzlich verboten, so etwas machen zu lassen.«
Also gab es diesmal kein Kind von ihm; aber es konnte jederzeit dazu kommen. Er bemerkte, daß sie Angst davor hatte und diese Angst akzeptierte. Sie hatte ihm erklärt, sie könne die Pille nicht nehmen, weil sie davon dick werde.
Sampson Malemba und seine Frau wurden zum Abendessen erwartet. Man nahm es jetzt als selbstverständlich hin, daß Rebecca die Position der Frau des Hauses einnahm. Sie half Kalimo, sofern er das zuließ; Kalimo beschränkte Mahlopes Arbeit strikt auf den Bereich außerhalb des Hauses – Mahlopes Gemüsegarten versorgte den Haushalt von Tlume und Aleke ebenso wie den eigenen. Mrs. Malemba (die viel zu schüchtern war, als daß sie einen Weißen mit dem Vornamen angeredet oder ihn aufgefordert hätte, es bei ihr so zu halten) kam immer nur dann zu Bray, wenn er die Malembas alleine einlud. Sie war zufrieden, wenn sie, abgesehen von ihren extrem höflichen Antworten auf die Aufforderung, doch zu trinken und zu essen, überhaupt nichts zu sagen brauchte, und sobald aus dem Bündel mit demBaby, das sie überall mitnahm, auch nur ein Mucks zu hören war, verschwand sie schon in die Küche, um es zu füttern oder zu beruhigen. Rebecca gelang es, sie ein wenig aus der Reserve zu locken; Rebecca war ohnehin eine Frau, die andere Frauen gut leiden konnten, aber zu jener Zeit war es für Bray und sie leicht, zu anderen Leuten nett zu sein. Sie waren zusammen am Morgen erwacht und würden, wenn sich alle für die Nacht verabschiedet hätten, zusammen in sein schmales Bett schlafen gehen; das war die Quelle einer überströmenden Großzügigkeit.
Das Erwachsenenbildungszentrum-plus-Handelsschule entwickelte sich überraschend gut. Sampson holte Beamte aus dem
boma
, die für ältere Leute in den Townships Kurse im Lesen
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