Der Ehrengast
Polizeikaserne versammelten, der Jeep der Quäker, der die Wolke selbst aufgewirbelten Staubs hinunter in die Dörfer in der Steppe um den See oder in Richtung der Bashi trug – all diese nützlichen Unternehmungen fanden auf einer treibenden Scholle Festlands statt, auf der die Leute ihren Geschäften nachgingen, ohne zu bemerken, daß sich ihre unmittelbare Umgebung selbständig gemacht hatte und davongetragen wurde, ein Haus, das auf einer Flutwelle ritt, die Möbel noch immer an ihrem Platz, und die Topfpflanzen noch immer auf den Fensterbänken. Was man selbst Tag für Tag tut, ist wirklich, dachte er; sie saß auf dem Bett unter der Leselampe, zupfte Hornhaut von ihren kleinen Zehen (»Meine Winterhaut, die da heruntergeht – im Sommer, wo ich die ganze Zeit Sandalen trage, krieg ich sie nicht.«) Er erwachte in den kurzen Morgenstunden, und sein Kopf umriß die Fakten in der Klarheit des Dunkels. Shinza hatte immer auf seinen Einfluß in den fortschrittlichen Kreisen der Bevölkerung zählen können, bei den Arbeitern – aufgrund seiner Beziehung zu den Gewerkschaften.In der Hinterhand hatte er auch dank seiner Verwandtschaft mit der Familie des Obersten Häuptlings die Loyalität der Stämme – wenn sich Bray richtig erinnerte, war er sein Neffe. Hauptsächlich seinetwegen hatten die Lambala sprechenden Volksgruppen – Verwandte der Gala, die im ganzen Gebiet der Bashi verbreitet waren – von Anfang an in der PIP gehalten werden können. Durch seine Ehe mit der Tochter Mpanas mußte sich seine Anhängerschaft um vieles vergrößert und sein Einfluß nicht nur auf die beachtliche Gefolgschaft Mpanas zu Hause, sondern auch auf die verstreuten Tausenden, die immer schon ein Gutteil der Arbeiterschaft im ganzen Land gebildet hatten, erweitert haben. Mpana war der Mann, der zu Brays Zeiten in der Kolonialverwaltung zum regulären Stammesvertreter ernannt worden war, nachdem man den Obersten Häuptling, Nagatse, wegen Radikalismus und Unterstützung der im Entstehen begriffenen PIP abgesetzt hatte; mit der Unabhängigkeit war Nagatse abermals als Oberster Häuptling eingesetzt worden, während Mpana wieder zu einem ganz gewöhnlichen Häuptling geworden war, der ein Souvenir aus besseren Tagen besaß – seinen verbeulten amerikanischen Schlitten. Nun, derzeit fuhr Shinza diesen Wagen. Die Allianz war, abgesehen von der Heirat, eine logische Sache. Mpana und seine Leute würden Mweta die Degradierung sicher nicht vergeben; wie wenig das Anliegen Shinzas auch mit ihrer Angelegenheit zu tun haben mochte, wenn es zu Mweta in Opposition stand, würde es ihrer eigenen Sache dienen.
Und Shinza? Nagatse war einer seiner Konvertiten gewesen, sein »aufgeklärter Häuptling«, der vor einer nationalistischen Bewegung keine Angst hatte. Mpana war einer der regierungstreuen »braven Jungs« gewesen, ein Jasager, über den sich Shinza lustig gemacht hatte – das war seine dezidierte und großmütige Art, wenn er jemanden verachtete. Familiengefühle würden daran wohl kaum etwas ändern; Opportunismus aber allemal. Shinza hatte neuerdings überall höchst seltsame Freunde.
Manchmal, während er, umgeben von all diesen Fakten, wach lag, schien es ihm, als wäre Shinzas Namensliste ein potentesSammelsurium – so wie er es in der Dunkelheit einschätzte. Er stellte dem Mweta gegenüber. Er konnte nicht entscheiden, was Mweta tun würde, tun sollte. Wenn ich Mweta wäre – aber das war’s ja, er war es nicht. Er versuchte, sich von lebenslangen Vorurteilen zu lösen, die letzte Jungfräulichkeit über Bord zu werfen. Aber immer war da noch eins und noch eins – wenn er doch endlich schon beim letzten wäre! Durch die Nacht war sein Verstand befreit. Wenn es eine Revolution gab, die die Leute aus der Verschüchterung, Ausbeutung befreien und aus dem Kreidekreis, der von der falschen Macht gezogen worden war, entlassen konnte, wie weit konnte diese Revolution gehen, um sich selbst und das zu verteidigen, was sie für das Volk erreicht hatte? Wie lange noch, bis sie langsam aus den gleichen Mauern die Feldsteine zog und wieder zu jenen Waffen griff, die sie zerschmettert hatte; bis sie sie gegen die einsetzen würde, die sie Konterrevolutionäre nannte? Was waren Konterrevolutionäre? Shinza und Mweta waren beide Identitäten angeheftet worden – vom jeweils anderen. Shinza glaubte, Mweta habe die Prinzipien der Revolution verraten und sei deren Feind; Mweta glaubte das gleiche von Shinza. Und er wollte, sie hätten
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