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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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sich die Falten der Müdigkeit tief in die Wangen eingruben. Das abwesende Lächeln, mit dem sie Bray über den Raum hinweg ansah, machte aus ihr für einen Augenblick wieder die Schönheit von einst. Als er sich zur Gruppe gesellte, hörten ihr die Leute gerade zu. »Wir brauchen uns nicht zu streiten; wirkönnen es als gegeben ansehen, daß der Kolonialismus etwas Unverzeihliches ist, jedenfalls soweit er uns betrifft – oder? Sie denken so, ich denke so – richtig. Aber die siebenundvierzig …« »Achtundvierzig« – Timothy Odaras Augen waren geschlossen; an die Wand gelehnt, stand er da, die Lippen ein wenig zurückgezogen, aufmerksam, gespannt. »… Entschuldigung, achtundvierzig Jahre, die ihr unter britischer Herrschaft gestanden, in ihren Minen herumgebuddelt, für sie Straßen gebaut und Städte errichtet habt, während ihr selbst in Baracken gelebt, sie bedient und hinter ihnen saubergemacht habt und selbst ein Stück Dreck geworden seid – das alles ist jetzt vorbei, und glaubt ihr wirklich, es hätte irgendeinen Weg in die moderne Welt gegeben, der kein Leidensweg gewesen wäre? Glaubt ihr wirklich, jemand anderer hätte euch das Alphabet und die Elektrizität gegeben und die Malariafliegen ausgerottet – aus purer Liebe? Die Finnen? Die Schweden? Die Russen? Irgendwer? Irgendwer, der von euch nicht den letzten Tropfen Schweiß und Stolz als Gegenleistung verlangt hätte? Das sind die Fakten. Und von eurem Standpunkt aus betrachtet – hat es sich denn nicht gelohnt, wo es Gott sei Dank weniger als zwei Generationen gedauert hat? Hätte euch irgendwer für nichts und wieder nichts die Tür aufgemacht? Auch nur ein einziger? Wäre nicht das Leiden der Preis gewesen, den ihr hättet zahlen müssen? Das ist es, was ich mich frage …«
    »Oh, Sie machen den üblichen Fehler, das Leben der schwarzen Bevölkerung so zu behandeln, als hätte es vorher gar nichts gegeben – und plötzlich kommen die Kolonialisten daher, und damit fängt unser Leben überhaupt erst an – in Ihren Ghettos und Hinterhöfen.«
    Sie schüttelte ihren Kopf zu Odaras Worten. »Alles, was ich sagen will, ist, hängt euch nicht die Leiden der Vergangenheit um den Hals. Was bedeutet Unabhängigkeit – ich sage absichtlich nicht ›Freiheit‹, weil ich keine großen Worte mag – was bedeutet eure Unabhängigkeit denn dann?«
    »Die Vergangenheit ist ausschließlich für politische Zwecke von Nutzen«, sagte Hjalmar, wie um zu sagen: Sie hat recht.
    Irgendwer sagte: »Nehmt euch vor dem CIA -Mann in acht.«
    »Nieder mit dem Neokolonialismus.«
    »Natürlich, Curtis«, sagte Hjalmar. »Aber wenn Sie’s tun müssen, indem Sie diese vierzig Jahre oder wieviel auch immer ständig mit Ihnen und Ihren Kindern an einem Tisch sitzen lassen – ach, das ist einfach nicht gesund, das macht mich krank. Was wollen die schon davon wissen, daß Sie das Missionshaus durch den Hintereingang betreten mußten?«
    Mrs. Odara hatte sich der Gruppe angeschlossen und kraulte mit einer großen Hand, deren Fingernägel silbern lackiert waren, das Bürstenhaar von Curtis Pettigrew. »Du lieber Gott, Timothy, fang doch nicht schon wieder damit an.«
    »Geben Sie ihnen doch die Chance, in ihrem eigenen Land die Köpfe ganz selbstverständlich hoch zu tragen, ohne daß sie sich deshalb wie Trotzköpfe vorkommen müssen.«
    Odara lachte. »Aber es läuft immer auf das gleiche hinaus: Ihr Europäer redet über diese Art Leiden immer sehr vernünftig, weil ihr keine Ahnung habt … ihr habt vielleicht gedacht, daß es schrecklich war, aber in eurem Leben gibt es nichts, was damit vergleichbar wäre.«
    Bray sah, wie Margot Wentz den Kopf mit einem starren Lächeln aufrichtete, so als hätte jemand einen alten Witz erzählt, über den sie nicht mehr lachen konnte. »Nun, da irren Sie sich aber«, sagte ihr Mann ziemlich pompös, »wir haben unter Hitler gelebt, und was das heißt, ist Ihnen doch wohl klar.«
    »Hitler interessiert mich nicht.« In ungeduldiger Höflichkeit bleckte Timothy Odara seine schöngeformten Zähne. »Mein Freund, weiße Männer haben in Afrika mehr Menschen getötet als Hitler jemals in Europa.«
    »Aber Sie sind ja verrückt«, sagte Wentz sanft.
    »Kriege, die
innerhalb
von Europa geführt wurden, Weiße, die sich
gegenseitig
umbrachten. Was geht mich das an? Gerade haben Sie gesagt, man sollte nicht seine Leiden mit sich herumschleppen. Ich habe keine Gefühle, was Hitler betrifft.«
    »Sollten Sie aber«, sagte Mrs. Wentz

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