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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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beinahe träumerisch.»Nicht mehr und nicht weniger als darüber, was mit den Schwarzen passiert ist. Das ist genau dasselbe. Ein Sklave im Frachtraum eines Schiffes aus dem achtzehnten Jahrhundert und ein Jude oder ein Zigeuner in einem Konzentrationslager in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts.«
    »Also gut, ich verbrachte meinen siebzehnten und meinen achtzehnten Geburtstag im Straflager Fort Howard, als Gast des Gouverneurs Ihrer Majestät«, sagte Odara, »soviel weiß ich.«
    »Ihre beiden Brüder sind in Auschwitz gestorben«, sagte Hjalmar Wentz; aber seine Frau sprach gerade mit Jo-Ann Pettigrew, die kleine Klümpchen geröstete Marshmallows am Ende einer langen Gabel herumreichte.
    »Um Himmels willen, Timothy, hör endlich auf, deine Zähne zu blecken, und benütz sie lieber zum Beißen.« Evelyn Odara redete mit ihrem Mann, wie es keine der hiesigen Frauen gewagt hätte; aber er tat so, als höre er es nicht, und drehte damit, ganz im Sinne seiner Landsleute, die meinten, daß das, was eine Frau sagte, ohnehin unhörbar sei, den Spieß um. Ärgerlich sagte er zu Wentz, wobei er seine Bemerkung durch den Mann hindurch an dessen Frau adressierte: »Und was haben
Sie
dafür gekriegt, was die Sache wert gewesen wäre?«
    Ohne jemanden anzusehen, sagte Margot Wentz: »Das weiß niemand.« Sie schüttelte ihre von Marshmallows klebrigen Finger, und ihr Mann zog sein Taschentuch heraus und reichte es ihr.
    Es war der Abend, an dem Bray, Neil, Evelyn Odara, einer der Flüchtlinge aus Südafrika, die Pettigrews und noch ein paar andere zur Sputnik-Bar aufbrachen. Während Bray in der Gruppe mit den Odaras und den Wentz’ herumstand, steckte Jo-Ann Pettigrew, die ihn nicht dazu hatte überreden können, ihre letzte Marshmallow zu essen, diese in den Mund und signalisierte den Anwesenden, es gäbe etwas, was sie unbedingt wissen müßten. »Rebecca war im Sputnik, und sie behauptet, es sei jetzt ganz toll. Sie haben eine Wand in dieser Art Hof-Dingsbums ausgebrochen, und tanzen kann man da jetzt auch. Sie haben sich sogar Mädchen zugelegt.«
    Neil sagte: »He? Und wer von uns war’s, der Rebecca ins Sputnik ausgeführt hat?«
    Gelächter. »Nun, ich frage mich, warum wir eigentlich nicht alle hingehen.« Die junge Pettigrew war in einem Zustand ständiger Verzückung; ihr langes gelocktes Haar war aufgegangen und trug, weil sie ihre Marshmallows draußen über dem Feuer des Grills geröstet hatte, ein Diadem aus Regentropfen. Sie war Anthropologin, und Bray glaubte darin die Erklärung für ihre Leidenschaft zu finden, ständig Ausflüge zu arrangieren, auf welchen sie ihr Baby im afrikanischen Stil auf den Rücken gebunden mit sich trug.
    »
Wer
war’s nun wirklich? Heraus damit!« Wieder brüllendes Gelächter.
    »Nein, nein – also gut, Ras hat sie mitgenommen …«
    »Ach Ras, wirklich?«
    »Und in die Sputnik-Bar, hm?« »So, jetzt ist’s heraus.«
    Rebecca Edwards kam, gutmütig lächelnd, von der Veranda herein und blickte sich wegen der Bemerkungen, die ihr entgegenflogen, fragend um. Sie sagte: »Sie haben dort elektrische Birnen, wie man sie in Filmen um die Schminktische der Stars hat, die leuchten auf, und dann kann man UNABHÄNGIGKEIT – HURRA lesen.«
    In großer Konfusion beschloß man, auf der Stelle zu gehen. Dando weigerte sich mitzukommen, und Vivien mußte zu den Kindern nach Haus, während Rebecca Edwards dagegen protestierte, weil ihre ebenfalls allein waren. Neil bestand darauf, Bray müsse mitkommen. Er gehörte zu jener Art Leute, die zur fortgeschrittenen Nachtstunde plötzlich ein verzweifeltes Verlangen nach bestimmten Begleitern überfällt. Aber als Neil, Bray, Evelyn Odara und der Südafrikaner im indischen Geschäftsviertel unten anlangten, waren die anderen noch nicht da. Für einen Augenblick gingen sie in die Sputnik-Bar, in der sie die Musik wie ein Schlag auf den Kopf empfing, und dann sagte einer, er bilde sich ein, die Eisenbahnkreuzung sei als Treffpunkt ausgemacht worden. Und damit begann eine jener nächtlichen Jagden, dieNeil Bayley, wie Bray feststellte, leidenschaftlich genoß. Sie fuhren den ganzen Weg zurück in die Stadt zu den Apartmenthäusern, in denen Rebecca wohnte – Neil stand auf dem vom Mondlicht erhellten Flecken Erde vor dem dunklen Gebäude und rief hinauf, bekam aber keine Antwort. Irgendwo hielten sie an, um einen Mann mitzunehmen; der Scheinwerfer erfaßte ihn, Hut in der Hand; nur sein sauberes weißes Hemd war in der Dunkelheit sichtbar

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