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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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werden wollte, waren das Ergebnis dessen, was ihnen als schier unüberbietbare Intimitäten erschienen war. Olivia mußte sich daran erinnern; er aber lebte sie. Für sie und gemeinsam mit ihr gehörten sie der Vergangenheit an. Das Erinnerungsvermögen des Körpers ist kurz. Der seine hatte sie vergessen, schon lange bevor er dieses Mädchen noch zum ersten Mal geliebt hatte. Was Olivia und ihm widerfahren war, schien nun so sinnlos anzuzweifeln wie das Resultat eines Flugzeugunglücks; er war der Überlebende. Er war sich der sexuellen Überheblichkeit dieser Deutung bewußt … ein Vogel schrie mit Beharrlichkeit über seinem Kopf auf dem Dach, und er öffnete seine Augen in dem Gefühl, genau diesen Ton schoneinmal gehört zu haben. Er stopfte das schlaffe Kissen unter seinen Nacken und setzte sich auf, um die Tagesordnung des Parteikongresses langsam durchzugehen, wobei er hier und da mit dem Bleistift schwache Kreuze machte.
    Roly Dando hatte seine Operation hinter sich und unterbrach die abendliche Trinkerei nicht mehr mit seinen Ausflügen in die Büsche, aber der Ausdruck irgendwelcher lästigen inneren Andränge, die das Ziehen in der Blase auf seinem Gesicht ausgelöst hatte, würde wohl für immer bleiben. Ob nun bei Dando oder bei jedem x-beliebigen anderen, dem er in der Hauptstadt begegnete – sein persönliches Wohlbefinden mußte sich, das fühlte Bray, als das verraten, was es war; es mußte auf seine Weise ebenso leicht zu identifizieren sein wie die blauumrandeten Augen eines halbwüchsigen Masturbanten. Dando aber sagte nichts. Die Distanz zwischen ihnen war schwer zu analysieren. War es nun eine Frage der sexuellen Energien, des Alters, der sich verändernden politischen und persönlichen Einstellung – es ließ sich jedenfalls nicht von der Atmosphäre des Gartens trennen, die nicht mehr die von früher war, obwohl sie da saßen, wie sie es immer getan hatten.
    Auch Dando hatte bemerkt, daß Mwetas Absicht, das Recht der Ernennung des Generalsekretärs des Gewerkschaftsverbandes für sich zu reklamieren, auf die Tagesordnung des PIP -Kongresses kommen würde. Er überging Brays Ausdruck der Überraschung darüber, daß es so weit gekommen war. »Es gibt nichts, das nicht Angelegenheit der Partei wäre. Vermutlich hat Shinza so viel Unterstützung zusammengetrommelt, daß die Burschen im Sekretariat es einfach nicht vermeiden konnten. Genauso wenig wie bei der Gewerkschaftssache, bei der es ihm gelungen ist, sie schon vor dem Kongreß ins Gespräch zu bringen, kann Shinza auch hier nicht anders, als offen auftreten. Er muß gute Gründe dafür haben, daß er glaubt, er würde wieder zum Generalsekretär gewählt werden, wenn man die Wahl in gewohnter Weise dem UTUC überläßt.«
    »Mweta ist ebenfalls offen damit herausgekommen. Wenner so weit geht, daß er sogar ein neues Gesetz einbringt, nur um Shinza aus den Gewerkschaften herauszuhalten.«
    »Ach, es wird sich bloß um eine Bekanntmachung handeln, mit einem neuen Gesetz braucht man sich dabei nicht herumzuschlagen. Das alte, das zur Erhaltung des Arbeitsfriedens, erlaubt das ja – es ist ein Stück guter, alter, kolonialer Gesetzgebung, maßgeschneidert, um damit die Schwarzen unter Kontrolle zu halten. Reicht zum gegenwärtigen Augenblick völlig.« Dando leerte sein Glas, auf dessen Grund sich der Gin gesetzt hatte, und verzog die dünnen Sehnen seines Kiefers.
    »Wenn Shinza wieder Generalsekretär des UTUC würde, wäre das die perfekte Chance.«
    »Wofür, Mann, wofür?«
    »Wenn Mweta sie nur sehen würde. Eine perfekte Chance, um Shinza ohne Gesichtsverlust wieder einzubinden. Shinza hätte dann aus eigener Initiative den Schritt aus dem ›Ruhestand‹ heraus getan und hätte
die
absolute Schlüsselposition außerhalb der Regierung; Mweta könnte, ohne gönnerhaft zu wirken, einfach seine Hand ausstrecken und ihn hereinnehmen und würde sich dabei auch nicht im mindesten erniedrigen. Und auf einen Schlag hätte er die Lösung der Probleme mit den Arbeitern und das Ende der feindlichen Lager innerhalb der Gewerkschaften. Dann hätte er endlich eine starke Regierung.«
    »Mit Edward Shinzas heißem Atem im Nacken?«
    Bray lächelte. »Neuerdings trinkt er nicht mehr.«
    »Ich denke nicht an den Geist des Weines, sondern an den der Revolution.«
    »Ein bißchen davon kann nicht schaden.«
    Dando ließ sich für seinen Angriff tief in den Sessel sinken, wie in eine Höhle: »Sollte ich aber verdammt doch wohl hoffen. Sollte verdammt

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