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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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haben wollte. »Was willst du denn?« »Darum mach dir mal keine Sorgen.« Er lächelte, lenkte ein. »Im Ernst, Emmanuelle, wozu brauchst du sie denn?« »Ich will jetzt all die Schlösser der Familiengeheimnisse öffnen und vor den neiderfüllten Augen der Zuseherschaft den ganzen Schatz an Familienjuwelen zur Schau stellen – dazu.« Ihr dunkles, schmales Gesicht noch immer ohne jedes Make-up – aber ihr Haar war gewachsen und hing zu beiden Seiten des langen Halses von ihrem schmalen Kopf herab, glatt, kräftig und glänzend. Sie blickte ihn voller Liebe und Mitleid an – ein sonderbar grausamer und verzehrender Blick. So mochte sich jemand zur Entscheidung durchringen, sein treues und geliebtes Pferd zu töten, wenn die Zeit gekommen war. Dann war sie wieder gegangen, mit ihrem lässigen Gang, äußerst weiblich in seiner hochmütigen Ablehnung alles Weiblichen.
    Hjalmar Wentz war wie ausgewechselt, wenn er von Angelegenheitensprach, die mit seinem Privatleben nichts zu tun hatten. In einer sonderbaren Umkehrung hatte er sich sein öffentliches Ich als Refugium vorbehalten, in dem er am meisten er selbst sein durfte, geschützt vor dem Abnutzungskrieg seines privaten Daseins. Er beugte sich gespannt vor (er trug noch immer Espadrillos und eine verschrumpelte Leinenhose, so als wäre er, aus Dänemark kommend, in den Ferien an der Costa Brava entführt worden), während sie sich über die Streiks und Unruhen der vergangenen paar Monate unterhielten. »Hinter jedem guten Reformpolitiker steht eine Bande Ganoven. – Ist bei ihm nicht anders. In einem Land von Bauern, die weder lesen noch schreiben können, wissen die schon, welche Argumente überzeugen. Die Stimme der Vernunft wird nicht verstanden.« Mwetas Begrüßungsansprache stand in den Abendausgaben der Zeitungen; DAS IST UNSER TAG – PRÄSIDENT MWETA . »Was sagt es denn den Leuten, wenn er feststellt, die wirtschaftliche Entwicklung habe gegenüber allen anderen Ansprüchen den Vorrang? Was bedeutet es denn für sie, wenn er sagt, Arbeit, Arbeit und noch einmal Arbeit? Aber wenn ihnen die Jungs von den Pionieren eins drüberziehen, weil sie gegen den Willen der Gewerkschaft streiken,
dann
verstehen sie. Dann wissen sie, daß die Gewerkschaft die Partei und die Partei der Staat ist. Es ist ein einziges Ganzes, und jeder, der auch nur einen Pieps von sich gibt, wenn die Gewerkschaftsbosse etwas sagen, ist ein Verräter. Unter uns gesagt: Die Lümmel von den Jungpionieren sind an vielen Orten angeblich als das einzige aktive Verbindungsglied zwischen Partei und Regierung übriggeblieben. Eine traurige Geschichte, daß er die Parteistellen im Busch so hat vor die Hunde gehen lassen, die örtlichen Parteistellen werden vernachlässigt … wenn die Jugendlichen nicht Krach schlagen würden, dann hätten viele der ländlichen Parteiorganisationen das Gefühl, sie hätten überhaupt keine Verbindung zur Regierung … Das ist ein Fehler … Aber was soll man schon machen. Er mußte um der größeren Effizienz willen zentralisieren. Nun, das sind die Kinderkrankheiten.«
    »Das Problem ist nur, daß viele von den Jungpionieren schon ein bißchen aus den Kinderschuhen rausgewachsen sind.«
    »Ja. Nun, das ist das Paradoxe an diesen Ländern – ein Mangel an Arbeitskräften und gleichzeitig ein Überhang an Leuten, die man nicht einstellen kann.«
    »Allein nächstes Jahr brauchen wir zweieinhalbtausend Schulabgänger mit Abschluß, und in den nächsten fünfzehn Jahren werden es dreizehntausend sein. Optimistisch geschätzt, werden es im kommenden Jahr aber nicht mehr als etwa tausend sein. Aber in fünfzehn Jahren sollten wir es schaffen können.«
    »Das ist die Geschichte, an der Sie arbeiten, was?« Hjalmar war dankbar für die Annehmlichkeit von Zahlen, auch wenn sie vielleicht falsch waren. »Sie haben recht. Ich bin noch immer davon überzeugt, daß die einzige Hoffnung die Erziehung ist. Ich muß einfach daran glauben, trotz allem …« Er meinte Deutschland, das Scheitern der Geisteswissenschaften, deren Erkenntnisse die Menschen nicht humaner gemacht hatten; jene Achse, um die sich sein Leben gedreht hatte. »Heutzutage ist es die Liebe, nicht wahr? Zurück zur Liebe. Und nicht einmal nach dem christlichen Rezept. Ich vertraue darauf ebensowenig wie auf den Haß.«
    Bray sagte: »In Europa haben wir ab und zu von einer verlorenen Generation gesprochen, aber in Afrika gibt es tatsächlich eine. Was wird aus ihr werden?«
    »Sie wird vermutlich bei

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