Der Ehrengast
Jahren. Und wie geht’s Mrs. Bray? Ist sie glücklich und zufrieden da oben in England? Bestellen Sie ihr meine besten Grüße, wenn Sie ihr schreiben, ich weiß nicht, ob sie sich an mich erinnert …« Er trug noch immer die westafrikanische Baumwollrobe – sein Kostüm bei öffentlichen Auftritten. »Gehen wir.« Shinza sprach es aus. Er sagte, gleichsam innerlich amüsiert über die Haltung der anderen, zu Bray: »Bis morgen früh. Paß auf in der großen Stadt – daß du keinen Ärger kriegst.«
Es war noch nicht zehn, und die Hitze der Nacht war drückend. Ein fliegender Kakerlak verirrte sich in den Wagen und drückte sich flach wie eine Messerklinge unter die abgetretene Fußmatte, als er nach ihm schlug. Unter den Sitzen und in Ritzen fanden sich wahrscheinlich noch von den Fahrten mit den Kindern kleine Leckerbissen. Sie hatten mit Krumen und zerbrochenem Spielzeug den Wagen zu einer Heimstatt verwandelt, genauso wie sie es mit dem von Rebecca immer getan hatten. Weder wollte er jetzt schon ins Bett, noch hatte er Lust, mit Roly zu saufen; er überlegte, ob er einen Umweg machen und den Wentz’ im Silver Rhino guten Tag sagen sollte. Sie erwarteten sicher, daß er einmal bei ihnen vorbeischaute, und er hatte nicht die Absicht, sich nach dem Kongreß noch länger in der Hauptstadt aufzuhalten. Das Rhino war voll. »Preisnachlaß für Delegierte – was soll manschon machen«, sagte Hjalmar. »Wir müssen der Belegschaft das gleiche zahlen, egal, wieviel die Gäste blechen.« Margot war im Bett. »Doch nicht etwa krank?« »Wer kann das bei Margot schon sagen? Wenn sie sagt, daß sie müde ist, ist sie krank, und wenn sie sagt, daß sie krank ist, ist sie müde. Wenn ich möchte, daß sie auf Urlaub fährt, dann fragt sie mich, warum ich denn nicht auf ein paar Tage wegfahre.« Er ließ das Büro unbesetzt zurück, und sie saßen in dem kleinen privaten Wohnzimmer mit seinem runden Tisch unter dem Lichtkegel des tiefhängenden Lampenschirms bei geöffneten Fenstern, die weit, wie luftschnappend, hinaus in die heiße Nacht mit ihren Gerüchen von rotem Staub und Grasbränden aufgestoßen waren. Wie jemand, der keinen Menschen hat, mit dem er sich unterhalten kann, ließ Hjalmar Wentz immer augenblicklich eine Atmosphäre der Vertrautheit entstehen; in dieser Nacht machte er den Eindruck eines Gefangenen, dessen Zellenschloß Bray gesprengt hatte, ohne sich dessen bewußt gewesen zu sein. Sohn Stephen hatte die Reifeprüfung gemacht, von der Universität wollte er allerdings nichts wissen – soweit sie sich erinnern konnten, war dies seit Generationen das erste Mal, daß irgendein Mitglied seiner (Hjalmars) und Margots Familie einfach so von der Schule abging und zu einem Vertreter der halbgebildeten
petite bourgeoisie
wurde. »Er ist ein echtes Kind des Kolonialismus – dieser anpassungsfähige Typ, der seine Beliebtheit dem Umstand verdankt, daß er eine Bar führt und jeder ihn Steve nennt – Sie wissen, was ich meine. Da läßt sich einfach nichts machen. Jeder mag ihn. Margot findet es schrecklich. Ich bin natürlich auch nicht hellauf begeistert … aber ich sehe es als eine Art Lösung des Überlebensproblems, mhh? Wir haben ihn in diese Welt und diese Stadt hereingesetzt, und jetzt löst er die Probleme eben auf seine Weise. Nicht intellektuell, verstehen Sie – er verfügt nur über Instinkte. Margot hat solche Menschen in Europa nie kennengelernt. Ihr Vater – der alte Professor –, der hat seine Mahlzeiten, wenn sie in einem Kurort auf Erholung waren, immer in einem privaten Zimmer eingenommen. Man hat ihnen eingetrichtert, daß Einsamkeitund Kontemplation für die Fähigkeiten des Menschen förderlich sind und daß es für die Entwicklung dieser Fähigkeiten hinderlich und hemmend ist, wenn man seine Zeit mit Dummköpfen vergeudet. Er war ein großer Hegelianer; jeden Gedanken, den sie einmal akzeptiert hatten, mußten sie umkehren, und dann mußten sie sein Gegenteil denken, bevor sie sich endgültig entschieden – wissen Sie, in Negationen denken und so weiter. Er empfand eine große Verachtung für Händler, Verkäufer, Makler und so weiter … nun, wer tut das nicht, besonders dann, wenn es sein Schicksal ist, einer zu werden. Er ist aber nie einer geworden … er ist gestorben, bevor er vor diesem Problem stand. Ahja-aah!« – das war nicht die deutsche Interjektion, sondern die unverwechselbar langvokalige skandinavische mit gegen Ende steigender Kadenz – »alles höchst
Weitere Kostenlose Bücher