Der Ehrengast
einer landwirtschaftlichen Industrie anerkannt und wie die Arbeiter in allen anderen Sektoren der Industrie organisiert werden sollten. Einundsiebzig Prozent der Lohnempfänger dieses Staates arbeiten noch immer auf dem Land. Sie haben keine entsprechende Vertretung, keine entsprechenden Anstellungsbedingungen, die irgendwo festgehalten wären, keine Mindestlöhne, nichts. Natürlich ist das eine knifflige Angelegenheit – die meisten sind nicht als Lohnempfänger angestellt; einen Teil ihrer Zeit verbringen sie damit, ihr eigenes Stammesgebiet zu bebauen; oder sie dürfen mit Erlaubnis der Weißen gegen einen Anteil an der Ernte als Squatter einen Teil von deren Land bearbeiten …«
»Gibt’s dafür viele Stimmen?«
Goma lachte kurz. »Im Prinzip ja. Wer wird schon aufstehen und sagen, daß er gegen die Verbesserung der Lebensbedingungen von drei Viertel der arbeitenden Bevölkerung ist? Aber kann sein, daß sich die Leute aus anderen Gründen zurückhalten.«
»Logisch. Organisieren Sie diese einundsiebzig Prozent der Landarbeiter, und die Gewerkschaften haben einen Machtzuwachs ungeahnten Ausmaßes.«
Goma zuckte die Achseln. Wann immer Bray versuchte, die Politik hinter den einzelnen Anträgen von Shinzas Lager zu definieren, zeigte Goma nichts als sein verbindliches Gesicht. Shinza diskutierte wieder mit Linus Ogoto und Nwanga, wobei seine Zigarette auf der Lippe auf und ab wippte. »… in Guinea, ich meine, vergessen wir nicht, daß es da erst gar nicht zum Problem derAfrikanisierung gekommen ist … die Franzosen machten sich auf und davon, sobald Sekou sich dazu entschlossen hatte, aus der französischen Gemeinschaft auszutreten, es gab keine ausländischen Beamten mehr, deren fette Einkünfte die Einheimischen mit den eigenen hätten vergleichen können. Sie standen auf ihren eigenen Beinen. Es war kein Problem, die Gehälter drastisch zu kürzen. Aber man muß sehr aufpassen, wie weit man geht … wenn man darangeht und die Lohnstaffelung und die Nebenvergünstigungen auf das Niveau von, sagen wir, Lehrern absenkt, dann wird es zum Bumerang« – er gähnte ab und zu voll Begeisterung – »dann hat man wieder nur erreicht, daß ihre Gewerkschaft eine Kampagne zur Erhöhung der Gehälter startet …«
Shinza war von der Tatsache irritiert, daß die Frage der Ernennung des Generalsekretärs des UTUC durch Mweta als einer der ersten Tagesordnungspunkte für den nächsten Nachmittag angesetzt war. Ein Mann in grauem Anzug, auf den Jochbeinen das Zeichen seiner Stammeszugehörigkeit, sagte: »Sie wollen es hinter sich bringen.« Shinza ignorierte ihn, ignorierte Brays Blick. Er stützte seinen Ellbogen auf den Tisch, legte seine Hand über den Mund und zog seufzend die Luft durch die geweiteten Nasenlöcher ein: »Hinter sich.« Natürlich, er wollte Zeit haben, um Eindruck auf den Kongreß zu machen und über mehrere Tage seine Rückkehr zur aktiven Führung sowie seinen Anspruch auf Unterstützung zu demonstrieren, bevor das Problem aufgeworfen wurde. Er war halb in Vergessenheit geraten und mußte die PIP daran erinnern, was er immer noch war und sein konnte. Dann würden Shinzas politische Aktien steigen – egal, ob nun der Antrag niedergestimmt werden, Mweta für sich das Recht zur Ernennung des Generalsekretärs des UTUC in Anspruch nehmen und ihn übersehen sollte, oder ob er erfolgreich wäre und das Recht, ihn zu wählen, beim Vorstand des UTUC verblieb.
Cyrus Goma sagte zu Shinza irgendwas über die Zeit. Die kleine Gruppe nahm – sich gegenseitig beäugend – die wachsame Haltung von Leuten an, die man woanders schon erwartete. Shinza ließ sich auf die Geheimnistuerei nicht ein. »Wenn duwillst, komm mit …? Wenn du Lust hast …« Goma neigte seinen Kopf und blickte stirnrunzelnd an sich hinunter; die anderen standen verlegen herum. Shinza spürte den Druck ihrer Mißbilligung und überspielte seine Einladung, so als hätte Bray bereits abgelehnt. »Tut mir leid … wir müssen los, Dhlamini Okoi treffen.« Also gehörte Okoi, der Postminister, jetzt ebenfalls zu Shinzas Lager. Shinza lächelte träge, als er von Brays Gesicht diese Schlußfolgerung ablas. Aber Gomas Blick verriet heftige, ärgerliche Verstimmung. Bray grüßte die alte Frau abermals mit Respekt. Nun, da er wieder auf dem Weg hinaus war, war Cyrus Goma erleichtert und in dieser Erleichterung liebenswürdig und plapperte drauflos, um zu beweisen, daß es nicht persönlich gemeint gewesen war. »… nach all diesen
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