Der Ehrengast
je nach dem Lebensstadium, bei dem man zu zählen anfängt.
Die beiden unterhielten sich stehend über Tisolo. Es gab dort Ziegelbrennereien, gute Lehmgruben, die besten im ganzen Land. Ansonsten armseligste Landwirtschaft, die kaum für das tägliche Auskommen reichte. »Eure Ziegeleien müssen doch mächtig expandieren, wo die Regierung so große Bauvorhaben hat?« Ja, aber die neuen Lehmgruben befänden sich am östlichen Ende der Provinz, und zur vollen Ausnützung ihrer Möglichkeiten sei eine Eisenbahnlinie notwendig. »Das Ministerium für öffentliche Arbeiten und der Rundfunksender werden mit Ziegeln aus Kaundas Land gebaut«, sagte der alte Mann. »Ich habe an Mweta geschrieben. Er ist ein vielbeschäftigter Mann. Es ist neuerdings nicht mehr so leicht, ihn zu sprechen. – Aber er hat geantwortet. Ja, ein sehr guter Antwortbrief.«
Der Mann, der das Eßpaket weggeworfen hatte, sagte: »Es stand darin, was wir schon wissen. Bis zum Ende des Baus der Eisenbahnlinie werden Ziegel importiert werden müssen.«
»Und die Eisenbahnverbindung steht auf Liste-Nummereins«, sagte Semstu. Alle lachten sie ein wenig, Bray ebenfalls. Semstu sagte: »Ich fürchte, Liste-Nummer-eins ist sehr lang. Ich würde gerne wissen, wo auf dieser Liste die Eisenbahn steht.«
»Und war das der Anlaß für die Schwierigkeiten«, sagte Bray. Im Monat davor hatte es in den Ziegeleien Streiks gegeben. Ein zweites Mal gab es eine Pause: Sie gab zu verstehen, daß das eine Angelegenheit war, die man nicht mit Außenstehenden besprach. Aber Semstu hatte Bray noch lange vor allen anderen gekannt: »Man hat den Leuten erklärt, entweder bleiben die Löhne gleich, oder aber eine bestimmte Anzahl von Leuten muß entlassen werden. Die Gewerkschaft hat das erklärt. Und dann, als es mit diesen Schwierigkeiten losging, hat uns die Regierung irgendeinen von den Hiesigen runtergeschickt, und der hat folgendes gesagt: Die neuen Ziegeleien werden so lange in den roten Zahlen sein, bis die Eisenbahn gebaut ist, also sollten sie auf alle Fälle Leute entlassen. Aber in der Zwischenzeit würden sie sie behalten – sofern sie keine höheren Löhne verlangen.«
»Aber wenn das stimmt, was ich aus den Zeitungen weiß, dann hat doch die Gewerkschaft selbst, noch bevor die Schwierigkeiten angefangen haben, Lohnverhandlungen geführt?«
»Ja, ja – zuerst hat die Gewerkschaft von der Gesellschaft eine Lohnerhöhung verlangt, dann aber hat sie sich’s anders überlegt, und dann wieder anders – und dann hat sie den Männern in den neuen Ziegeleien erklärt, sie würden entlassen werden, wenn die Männer in den alten Ziegeleien weiterhin auf ihren Lohnerhöhungen bestehen …«
Bray nickte heftig; alle vermieden es, einander anzusehen. Der Mann, der zuerst geredet hatte, erwies sich als derjenige, dessen Blicken man auswich. »Was hätten wir denn sonst machen sollen. Nachdem wir angefangen hatten, mit der Gesellschaft zu verhandeln« – die Ziegeleien waren Tochtergesellschaften des Goldminenkonsortiums – »wurden wir ins Arbeitsministerium gerufen, und dort hat uns dann der Staatssekretär gesagt: Schaut her, Jungs …«
»Wenn jemand mit Mweta reden könnte«, drängte der alte Semstu. »Wenn wir die Eisenbahn kriegen könnten. Und was, wenn
du
mit ihm redest – vielleicht kannst du es ihm beim nächsten Mal sagen?«
Bray hatte beobachtet, wie die Erkenntnis, er sei vielleicht jemand, den man benutzen könnte, langsam Gestalt annahm. Der alte Mann sagte: »Natürlich wirst du ihn treffen.«
»Stimmt, ich werde ihn treffen. Aber, wie du selbst gesagt hast: Er ist ein vielbeschäftigter Mann. Jeder will von ihm irgendwas haben.«
Semstu dachte nach, aber sein Gesicht verschloß sich gegen jeden Versuch, ihn zu vertrösten. Er setzte sich wieder seinen alten Hut auf den Kopf; noch immer trug er den schwarzen Anzug eines Geistlichen oder Lehrers, über dessen Bauch die Kette im Bogen zu einer Uhr führte – die ehemaligen Amtsgewänder und Insignien derer, die lesen und schreiben konnten. »Briefe sind nichts. Sie werden von irgendwem in die Maschine getippt.« Seine arthritische Hand mit der Pfeife darin setzte den Schnörkel einer Unterschrift unter einen Text.
Die anderen sahen Bray und ihn an, die Augen wegen des Sonnenlichts zugekniffen. Der Mann von der Gewerkschaft stülpte seine Unterlippe vor und ließ einen Lungeninhalt voll Rauch vor seinem Gesicht aufsteigen. Bray sagte zu ihm: »Eure Gewerkschaft wird den UTUC unter Druck setzen
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