Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
Vom Netzwerk:
Bucht, die von Oberkörper und Arm gebildet wurde, schmeckte er immer das Süßlich-Parfümierte dessen, das dort hingeschmiert worden war, um den Schweißgeruch damit zu überdecken, und das leicht Gallig-Bittere des Schweißes selbst (der Geschmack eines zerbissenen Orangenkerns), und seine Zunge, die sich langsam in der einen Richtung vorbewegte, fühlte – lief sie in der Gegenrichtung zurück – die Wurzelnoppen der abrasierten Haare. Der Kaffee war kochend heiß, dick und köstlich. Er hatte überhaupt nicht an Rebecca gedacht; bloß dieses eine Teil von ihr ergriff ihn plötzlich mit einem überwältigenden Gefühl eigener Realität. Sexbesessen nennt man das, dachte er, voll tief empfundener Liebe – egal, wie man das nannte. Er fühlte sich sofort anschwellen. Er bestellte eine Flasche Selterswasser, weil der Mann für den Kaffee kein Geld annehmen wollte: Er, Bray, war es gewesen, der ihm die Ehre erwiesen hatte, die Gebräuche des Landes hochzuhalten – eines Landes, das Tausende Meilen entfernt war.
    Jeden Tag im Oktober machten die Elemente zu dieser Zeit eine seltsame Verwandlung durch. Der Himmel war nicht länger Farbe oder Raum, sondern das Gewicht der Hitze; er drückte auf Menschen, Bäume und Gebäude herab. Um zwei Uhr nachmittags sahen die Straßen aus, als duckten sie sich unter Schlägen. Wegen seiner Größe kam er sich wie auf den Boden gehämmert vor, auf dem sich nur die großen roten Ameisen frei und unbeschwert bewegten. Er nahm sich für die paar Häuserblöcke bis zum Luxurama zurück ein Taxi. Die Taxifahrer der Hauptstadt befanden sich im euphorischen Zustand des gutgehenden Geschäfts – der Kongreß brachte haufenweise Kunden in die Stadt. Der Fahrer trug eine weiße Golfmütze und Sonnenbrille, und an der Verkehrsampel trommelte er zur lauten Musik aus dem Radio mit den Handflächen auf seine Oberschenkel.
    Das Foyer hatte sich fast schon wieder in den Kinosaal entleert;Bray sah, daß er hineinschlüpfen konnte, ohne dem Shinza-Kontingent zu begegnen. Er hatte keine Lust, über Semstu zu reden. Aber Shinza persönlich kam, entgegen der Laufrichtung des Delegiertenstromes, heraus; Papiere in der Hand, eilte er irgendwohin.
    »Na, wie bist du mit deinem alten Freund Semstu zurechtgekommen?«
    »Du kriegst die Ortsgruppen aus Tisolo.«
    Eine Parodie dessen, was er selbst gedacht hatte – sie kam aus Shinzas Mund: »So einfach geht das.«
    Bray sagte nichts. Shinza war immer in dieser Verfassung, in die man kommt, wenn ein Ereignis von einschneidender Bedeutung unmittelbar bevorsteht und sich das Hirn in der unerträglichen Erwartung seines Eintretens an irgendeine Nebensächlichkeit klammert, die nun unbedingt erledigt werden muß, an irgendeine halbe Phrase, die noch hinzugefügt werden muß, und man all diese sinnlosen Dinge mit eben jenem Feuereifer ausführt, den dieses Ereignis selbst kategorisch aufhebt: hier; jetzt; und die in sich schon das Orakel dessen trägt, wohin es schließlich ausschlagen wird. Was immer das für Zettel sein mochten, er hielt sie fest, so als hinge von ihnen sein Schicksal ab – der Blick schon an Bray vorbei, die Lippen hielten mit einem Lächeln eine ausgegangene Zigarette fest. »Ich wünschte, sie würden mir so selbstverständlich vertrauen wie dir.«
    »Mir vertrauen sie, weil ich keine Macht habe. Dir würde das wohl wenig nützen, oder?« Er zog das kleine Gasfeuerzeug, das ihm Rebecca geschenkt hatte, aus seiner Tasche, und die kleine Flamme sprühte unter der schnappenden Drehung seines Daumens auf: »Hier.«
    »Du hättest nicht zufällig eine Schachtel Streichhölzer für mich – meine sind mir ausgegangen?« Mechanisch neigte Shinza seinen dunklen, wolligen Kopf und zündete sich die Zigarette abermals an.
    »Du kannst das behalten.« Ein paar weiße Einsprengsel, wie weiße Baumwollfussel, die man von einem Wollstoff zupft, daoben, in der Krone. Nie hatte Bray für Shinza jenes Gefühl der Zuneigung wie für Mweta empfunden, eine Zuneigung, die freilich auch eine bestimmte physische Affinität voraussetzte, das heißt, Toleranz gegenüber dem Körper des anderen, gegenüber dem ihm Wesentlichen und seinen charakteristischen Merkmalen. Zum Teil war es das, was das Mädchen einmal gemeint hatte, als es behauptete, er »liebe« Mweta; er hätte ebenso selbstverständlich Mwetas Rasierapparat benützt oder eins von Mwetas Kleidungsstücken angezogen (nicht, daß er jemals in Mwetas Sachen hineingepaßt hätte!), wie er ein Handtuch

Weitere Kostenlose Bücher