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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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man darin nur die Bevorzugung der einen Gruppe von Ansichten gegenüber einer anderen sehen. Es muß so kommen. – Es wird zu Ärger in den Gewerkschaften führen. Überlaßt es den Arbeitern, ihren eigenen Mann zu wählen – es ist Pflicht der Partei, dieses Recht zu unterstützen …« Er sprach sprunghaft, und sein Englisch hatte einen starken Akzent, der die Sätze in ungewohnte Betonungsmuster auflöste, aber seine jugendliche Unbefangenheit setzte spontane Reaktionen frei. Applaus kam daher wie geworfene Münzen, als er seinen massigen Körper untertauchen ließ und den Blick wieder freigab. Jemand erhob sich mit der Frage, weshalb denn diese Angelegenheit überhaupt vor dem PIP -Kongreß diskutiert werde – sei sie nicht etwas, worüber sich die Gewerkschaften untereinander zusammenraufen sollten? –, aber auf der Stelle wurde ihm das Wort entzogen, was triumphierenden Beifall auslöste, mit dem man nicht ihn meinte, sondern sich in den Rängen derer, die für diesen Antrag waren, gegenseitig beglückwünschte.
    Shinza kam langsam wieder aus dem Rückzugsgebiet seiner Konzentration hervor, er hatte Nwanga Applaus gespendet, hatte aber den Zuspruch nur mit einem flüchtigen Lächeln quittiert.Als das Tempo der Debatte rasanter wurde, hatte Bray den Eindruck, als sei Shinza die ganze Zeit an etwas anderes angeschlossen, an eine Art Sender vielleicht, als lausche er, warte er auf etwas, das von jenseits des Echos der Rednerstimmen, ja selbst von jenseits des verworrenen Hintergrundgemurmels kam, das trotz der Ordnungsrufe des Vorsitzenden lauter wurde. In sämtlichen Sitzreihen beteiligten sich die Delegierten an einer Unterdebatte; man gab Zettel weiter, tauschte die Plätze, machte strengvertrauliche Buckel, und während sich Köpfe samt Ohren herabneigten, kreuzten sich Blicke aus Augen – aus gelblichen, rotgeäderten Augen, aus klaren, froschartig vorstehenden Augen, die ihr Weißes zeigten, aus vom Alter marmorierten Augen – und in allen lag jener Glanz introvertierter Konzentration, der nichts verrät.
    Mweta faltete über seiner Robe die Arme; dann breitete er sie wieder aus und ließ sich, die Hände lose vor sich auf dem Tisch, in seinen Stuhl zurücksinken. Wie wenig öffentliche Gebärden es gab – und selbst diese noch vom gleichen Satz der Konventionen bestimmt wie das althergebrachte Ritual, das diese Versammlung zusammenhielt. Hatte Mweta Zweifel an der von ihm beanspruchten Verfügungsgewalt? Wußte er, während er – ein kleiner, gutaussehender römischer Imperator – dasaß, daß er im Unrecht war? Glaubte er, dies tun zu müssen, um seine Macht zu erhalten, die er sonst aufs Spiel zu setzen fürchtete?
    Einer – ein ausgesuchtes Mitglied aus dem Lager Shunungwa-Mweta – brachte die Stimmung mit seinem Vorwurf der »Beleidigung unseres großen Führers«, der sich jene schuldig machten, die sich gegen sein Recht auf die Wahl des Generalsekretärs stellten, zum Überkochen. »Diese Personen sollten diesen Kongreß verlassen. Unser Staat ist ein Einparteienstaat. Wir sind
eine
Nation mit
einem
Führer, er ist der Führer der Gewerkschaftsmitglieder und der des gesamten Volkes …«
    Der Aufruhr übertönte die Worte des Sprechers, obwohl er weiterbrüllte. Er erhielt Beifall, wurde niedergeschrien – ein Aufbäumen der oppositionellen Kräfte schien die aneinander und am Boden festgeschraubten Kinositze buchstäblich zu verschieben,so daß Bray die Druckwelle spürte, die ihm entgegenwogte. Roly Dandos silberstückgroßes Gesicht bewegte sich am Ende seines Halses wie der Kopf eines aufgestörten Vogels. Die Parteiordner wurden durch das unvermittelte Auftreten weißbehelmter Polizisten verstärkt, die hinter den Vorhängen vor den Ausgängen hervortraten, hinter denen gewöhnlich elegante Mulattinnen mit Taschenlampen und Tabletts mit Süßigkeiten warteten – die Platzanweiserinnen der Brüder Joshi. Irgendwo, oben, links von Bray, an der Rückseite des Kinos, gab es ein Handgemenge – einen Kampf? »Der alte Mann hatte eine Herzattacke«, wiederholte jemand, aber die weißbehelmten Männer schritten, drei Stufen auf einmal nehmend, zur Galerie hinauf und brachten rasch einen jungen Mann herunter, in dessen Gesicht sich die Wut, so bloßgestellt zu werden, ballte, und einen zweiten, dessen Ärmel aus dem Schulterstück des abgetragenen Jacketts gerissen worden war. Als man sie durch die Türen ins Freie stieß, drang von draußen eine Art Gesang herein, so als liefe der Sucher

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