Der Ehrengast
dafür sorge, daß diese auch in die Tat umgesetzt würden, »im größtmöglichen Vertrauen und in engstmöglicher Zusammenarbeit zwischen Regierung und Gewerkschaften. Und die Ernennung des Generalsekretärs des UTUC durch den Präsidenten ist die wichtigste Bestätigung dieser Kooperationsbereitschaft. Die Regierung garantiert dafür, daß diese Zusammenarbeit auf höchster Ebene stattfinden und niemals durch so kleinliche interne Zwistigkeiten gefährdet werden wird, wie sie manchmal vielleicht innerhalb der Gewerkschaftsbewegung selbst entstehen …«
Die Ausführungen wurden an Pressetischen protokolliert, auf Band aufgenommen, aber das Steigen und Fallen des Lautstärkepegels konnte nicht einfangen, was sich tatsächlich abspielte. Unterhalb dieses Diagramms gab es noch ein zweites, das Vor und Zurück des Lautstärkereglers für Shinza und Mweta. Und darunter gab es noch immer eines – und über das war sich nicht einmal Bray im klaren. All dieser Nachmittagskrawall und dieseDiskussionen würden zum Teil einer winzigen Kurve im Auf und Ab der Kräfte des gesamten Kontinents werden, würden eines Tages in einem halben Satz eines Historikers an die Oberfläche geschwemmt werden – »gegen Ende dieses Jahrzehnts zeichnet sich ein bestimmtes Ordnungsschema ab, in welches nach außen hin scheinbar unvereinbare Staatsformen …« Es ist nicht so, daß dieser Lärm gar nichts bedeutete, auch damit machte man es sich zu leicht. Seine Bedeutung ist etwas, auf das man horchen muß, dem man sich annähert, indem man sich einen Weg zwischen Worten hindurch bahnt, zwischen Anwesenheiten hindurch, dem Krampf im Knie des einen und der krampfhaften Ablenkung, die sich ein anderer durch das Anzünden von noch einer und noch einer Zigarette verschafft.
Noch immer kein Zeichen von Mweta. Hätte er es gewollt, so hätte er das Wort ergreifen können, selbst wenn sie sich darauf geeinigt hatten, daß er nicht reden würde. Er hatte das schon praktiziert; es war Teil seiner natürlichen Impulsivität, seines Politikverständnisses, das über das starre Konzept von Politik als »Spiel«, in dem alle Züge vorbereitet sind und man sich strikt an sie halten muß, hinausging. Politik war für ihn immer etwas Konkretes gewesen, ein Problem von Brot, Arbeit und Behausung. Wie er in seiner Robe dasaß: ein Stück politischer Volkskunst, überlegte Bray – so wie es eine religiöse Volkskunst gibt, Gipsfiguren, die blau und goldfarben bemalt sind.
Auch das andere Lager hatte seinen Schlachtplan. Shinza sollte das letzte Wort haben. Als er aufstand, wartete er auf Ruhe, und er bekam sie auch; dann aber fanden diejenigen, die sie als etwas gegeben hatten, das ihnen als Pflichtübung abgezwungen worden war, er sehe sich um, so als wollte er sich erinnern – an alle und alles; sein Blick lag auf den Rowdies und auf den Polizisten – peinlich, diese Präsenz, die nicht Worte sprechen ließen, bei einer Versammlung, deren Sinn vom verbindlichen Wert des Wortes abhing, wenn sie nicht nichtig sein sollte – und er sah sie an, um seinen Mund den Ansatz zu einem trockenen, gespielt-mitleidigen Lächeln, einem Lächeln, wie Männer es fürGefängniswärter übrig haben. Und dann begann er zu sprechen. »Wie in den meisten afrikanischen Staaten wurde auch in unserem Land vor der Unabhängigkeit den nationalen Zielen innerhalb der Aktivitäten der Gewerkschaft eine vorrangige Bedeutung eingeräumt, weil die sozioökonomische Situation des schwarzen Arbeiters eine unmittelbare Folge des Kolonialismus war. Nun, da die Unabhängigkeit erreicht ist, treten abermals ökonomische und soziale Probleme in den Vordergrund – an den Streiks und Krawallen um uns herum, in den Minen, den Fischereien, bei den Eisenbahnen, kann man das ablesen. Die schwarze Gewerkschaftsbewegung muß ihre Politik neu formulieren, um diese Probleme in den Griff zu bekommen. Dabei müssen wir uns aber über eines im klaren sein: Diese Neuformulierung kann nur innerhalb eines Rahmens stattfinden, dessen Grenzen durch das Erbe des kolonialen Systems, die Rolle der Gewerkschaften beim politischen Wachstum des Staates und die Größe der wirtschaftlichen und sozialen Probleme, vor denen wir stehen, definiert sind. – Darum geht es in dem Yema-Antrag; das ist es, wovon der ehrenwerte Minister Chekwe redet; das ist es, wovon ich rede.« All die Manierismen, die sein eifriger Schüler Mweta (die Robe, Brust raus wie auf einer Münze) von ihm abgeschaut hatte: bei Shinza waren sie
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