Der Ehrengast
ließen. Und bevor es dann zur Abstimmung kam, war es geschehen: Mwetas Schweigen hatte zu ihnen gesprochen.
Das
also war es, worauf Shinza von Anfang an hinter der Debatte gehorcht hatte. Jetzt hörte es Bray, spürte er es – es gab kein Wort dafür, wie man es aufnahm –, so wie Shinza es hören und spüren mußte. Die Unentschlossenen wurden davon – gleichsam noch während ihre Hände halb für Shinza in der Luft hingen – überrumpelt. Siestimmten für ihn, der dort oben saß, in seiner Robe, und sie um nichts bat, weil er es von ihnen erwartete.
Jetzt holte Shinza die Zigarette aus seiner Tasche. Er steckte sie sich in den Mundwinkel und zündete sie an, mit Rebeccas Geschenk, das immer schon beim ersten Versuch funktionierte.
Das ist also mein Mann, dachte Bray; das ist mein Mann.
ER FAND SICH in der Gesellschaft von Dando und Shinza in einer der Bars des Great Lakes Hotel wieder; sofern es das gab, daß sich jemals jemand irgendwo »wiederfand«: durch einen Zufall, hinter dem mehr Absicht steckte, als es nach außen hin den Anschein hatte, hatte es sie, fasziniert-abgestoßen, langsam, während im Golden-Perch-Saal die Cocktailparty im Gange war, von Gruppe zu Gruppe gezogen. Er hatte nicht gewußt, ob überhaupt zu erwarten war, daß Shinza auftauchen würde; Dandos Stimme war die erste, die er hörte: »Welche Art von Sexsymbol soll denn das sein …«, die sich gerade über das jüngste Ausstattungsstück erging – den riesigen ausgestopften Seebarsch, der dem Saal den Namen gegeben hatte und den nun anstelle des eigenen Fischkopfes die obere Hälfte eines Frauenkörpers aus vergoldetem Gips zierte.
Viele der Delegierten hatten noch nie das Innere eines Lokals wie des Great Lakes’ gesehen. Überwältigt von ihrem Mangel an Kenntnis der erforderlichen Eß- und Trinksitten in solch einer Umgebung, standen sie herum, ignoriert von Kellnern, die es für unter ihrer Würde hielten, den ersten Schritt zu tun, und mit Gins und Whisky-Sodas für diejenigen, die wußten, wie man diesen Dingen seine Wertschätzung bezeugte, an ihnen vorbeieilten. Als Mweta (in korrektem schwarzem Anzug) zwischen ihnen, in der Hand ein Glas mit Limonade, herumging und sie höchstpersönlich zu den Tabletts mit Appetithappen und Drinks nötigte, setzten sie sich mit feierlichem Ernst zum Schmaus, zu dem sie geladen worden waren, und verdrückten blind die Scheibchen aufgespießter Shrimps; manche fingen sogar miteinander zu krakeelen an, als sie die Wirkung ihrer Drinks spürten, während die professionellen Politiker und die Mitglieder der Aufsichtsräte von Gesellschaften ruhig und gleichmäßig vor sich hin tranken und damit nicht mehr erreichten als jenes Glühen überdie eigene Wichtigkeit, die das Trinken in Gesellschaft mit sich bringt. Sämtliche Triumphe und Ressentiments der verschiedenen Lager schienen auf diese Weise aufgehoben zu sein – ein Fest, wie es gleichermaßen Begräbnisse wie Hochzeiten abschließt.
Shinza trug dasselbe zerknitterte Ferienhemd, so als wäre er in der Absicht gekommen, mit seiner Anwesenheit einen Mißton in das Ganze zu bringen. Man sah ihn inmitten der unterschiedlichsten Menschenknäuel, nie jedoch in der Nähe Mwetas und offenbar mit seinen Gedanken nicht bei der Unterhaltung. Im Augenblick war er gerade von ein paar jungen Männern eingekreist, so als wäre er ein gefährliches Objekt, das jeden Augenblick explodieren konnte. Einer, der etwas angeheitert war, spielte den Anführer bei dem Versuch, Shinza hochzunehmen – es ging um die
Autogestion
: »War das diese Schmiede an der Kinshasa Road, von der du gesprochen hast? – Aber ein Verwandter meiner Frau hat dort gearbeitet, und der hat jetzt eine Stelle bei einem Kesselschmied bekommen.« »Und, was weiter, Mann?« Jemand schämte sich wegen des Niveaus der Frage: »Wem gehören denn nun diese Farmen und Fabriken – der Regierung?«
Roly Dando hatte schon eine ganze Menge intus; die Leute in seiner Gesellschaft ließen die Köpfe hängen, sie saßen wie in Trance über ihren Gläsern, während er ungerührt lauter und lauter redete, bis seine Stimme auf die Diskussion am Nachbartisch übergriff: »Respekt gegenüber den Aktionen der Gewerkschaft ist in afrikanischen Staaten natürlich nur ein frommer Wunsch. Mein Gott, das wissen Sie doch, Shinza, oder? – Natürlich weiß er’s. Weiß es ebensogut wie ich.«
Gesichter gingen auseinander, um den Weg freizugeben. Shinza lächelte müde, die Lippen, über die
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