Der Ehrengast
kleinen Stößen von Schuhbändern, Rasierklingen und Rasiercremes. Wohin wollten sie? In ihren Mittagspausen versammelten sich nun die Ziegeleiarbeiter immer unter dem Sklavenbaum; es ließ sich kein Grund finden, sie zu vertreiben, solange sie offenbar bloß im Schatten herumlungerten, aber andere Leute, die mit einem Laib Brot oder einer Flasche Öl die Straße entlang in Richtung Stadt wanderten oder von ihr zurückkamen, versammelten sich locker um sie – worum ging es denn überhaupt? Wie in einer unbewußten Reaktion auf die Anwesenheit eines Publikums kam es einmal während einer Mittagspause zu einem Handgemenge, dem eine Jagd durch die Stadt folgte: zerrissene Hemden, sich hebende und senkende Oberkörper und ein kleiner Junge mit seinem jüngeren Bruder auf dem Rücken, der vor dem Postamt laut losheulte. Er war im Gedränge niedergestoßen worden; nein, war er nicht, hatte bloß Angst davor gehabt – aber schon drängte sich eine andere Gruppe um ihn: das verrückte Weib, das Kirchenlieder sang, ein paar alte Männer, die ihr Leben aus Abfallkübeln bestritten und den Großteil des Tages auf den Stufen zum Postamt saßen, die jugendlichen Boten, die da miteinander tratschten. (Rebecca kam gerade vorbei und kaufte dem Kind ein Eis; die fette Mrs. Maitland von der Trockenreinigung stand da, schüttelte ihr weißes Dreifachkinn und sagte zu ihr: »Schrecklich, wie die ihre Kinder verkommen lassen. Die meisten von denen sollten überhaupt keine haben dürfen.« Bray und Hjalmar amüsierten sich köstlich über diese Geschichte.) Mit einer Spraydose schrieb jemand an die Mauer der Princess-Mary-Bibliothek: HÄNGT TOLA TOLA . Ein Haus im Stadtteil der Schwarzen wurde in Brand gesteckt, und Nachbarn sagten, »Commandant Mkade« habe ihnen gegenüber behauptet, die Bewohner des Hauses seien »Tola-Tola-Anhänger«. Albert TolaTola, der seine Zeit hauptsächlich in London, Washington und Westdeutschland zugebracht hatte, war niemals auch nur in der Nähe dieses entlegenen nördlichen Teils seiner Heimat gewesen, und den Mso brachten die Gala traditionsgemäß nur geringe Wertschätzung entgegen, weshalb es mehr als unwahrscheinlich war, daß er in Gala Anhänger haben sollte. Aber egal, wen die Jungpioniere mit ihren Belästigungen aufs Korn genommen hatten, sie legten an drei weitere Häuser Feuer, und nachts kam es im Township zu Straßenschlachten. Selufu hatte den Großteil seiner kleinen Streitmacht eingesetzt, in der Eisenerzmine für Frieden zu sorgen, und sie dort, in hundertsiebzig Meilen Entfernung, konzentriert; Aleke verhängte nach dem Vorbild der Hauptstadt auch über Gala eine Sperrstunde. »Der alte Major Fielding hat sich angeboten, eine Gruppe von Freiwilligen zusammenzubringen, die aushelfen und im Zentrum Patrouillengänge machen könnten«, sagte er zu Bray; eine Information, bei der es sich in Wahrheit um Ratsuche handelte.
»Oh, mein Gott. Was für Aussichten – Commandant Mkade und Major Fielding, mit Schußwaffen unter uns losgelassen. Weshalb können Sie Mkade nicht verhaften?«
»Selufu sagt, das Problem ist, daß das Beweismaterial so dünn ist. Es ist ihm nicht nachzuweisen, daß er hinter den Brandstiftungen steht.«
Bray fand unter dem Klumpen aus Malachitkristall (Rebeccas Geschenk), den er im
boma
auf seinem Schreibtisch liegen hatte, ein billiges Fensterkuvert. Ein aus einem Übungsheft gerissenes Blatt mit einer Notiz darauf, die von der Hand eines Missions-schülers sorgfältig auf die Linien des Blattes gesetzt war: »Kommen Sie auf einen Drink ins Fisheagle Inn, heute abend, sieben Uhr.« Der Punkt hatte im Papier eine tiefe Delle hinterlassen – offenbar war sich der Schreiber bezüglich der Form dessen, wie der Abschluß aussehen sollte, da keine Unterschrift vorgesehen war, unsicher gewesen. Auf alle Fälle hatte er gefunden, daß das »Hochachtungsvoll« von essentieller Bedeutung sei. Er dachte an Shinza; weshalb aber das Fisheagle? – Vielleicht wollte manihn einladen, sich an den nächtlichen Patrouillen der Weißen zu beteiligen.
Er mußte eine Entschuldigung finden, um sich von Rebecca und Hjalmar wegstehlen zu können; die Ankündigung, er wolle zu dieser Stunde, da sie gewöhnlich alle unter dem Baum saßen, um sich abzukühlen, auf einen Drink ins Fisheagle Inn, würde sie erstaunen. Er ließ die Bemerkung fallen, daß er etwa um sieben Sampson Malemba treffen müsse; Hjalmar und Rebecca schritten das Stück Boden unter dem Feigenbaum ab, Hjalmar mit einem
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