Der Ehrengast
sie sich wünschten. Warum hat er sich bloß nicht auf seinen Balkon gestellt, um mit ihnen zu reden?Die hatten nicht einmal Steine. Selbst Neil sagt, daß das die letzte Chance war. Sie sind nicht deshalb gekommen, weil sie ihn umbringen wollten, sie sind gekommen, um mit
ihm
zu reden, weil sie nicht mit Chekwe und seiner Bande reden wollen. Hjalmar hat recht daran getan, vor Margots Zorn zu fliehen und nicht auf den Zorn des Big Boss und des Konzerns zu warten, der über dieser Stadt niedergegangen ist (sag ihm nicht, daß ich das gesagt hab). Ich hab jedenfalls meinen Bürgerkriegstornister gepackt.«
Es stimmte, am Tag vor der Eröffnung des Prozesses gegen Tola Tola und Mitangeklagte (seine Ankündigung kam überraschend: vielleicht war Dando energisch geworden, hatte sich halsstarrig gegen Chekwe gewehrt, als es um seinen kleinen Anteil an der Herrschaft des Rechts ging?) ließ Mweta dreiundzwanzig Gewerkschafter verhaften. »So muß man’s machen«, Aleke ließ sich in seinen großen Bürosessel zurückfallen und preßte grinsend sein Kinn gegen die Brust. »Selufu behauptet, es gab da noch ein paar andere. Und nun erwartet er, daß er das Okay kriegt, damit er ein paar Leute von hier hinter Schloß und Riegel bringen kann, ohne die wir im Augenblick gut auskommen könnten.«
»Was hat ihn denn daran gehindert? Wenn es bei der Eisenerzmine irgendwelche Krawalle gegeben hätte, hätte er die Leute doch verhaftet – aber die Streikenden scheinen dort einen klareren Kopf zu behalten als an den meisten anderen Orten.«
»Eigentlich handelt es sich bei den Leuten, an die er denkt, gar nicht um Streikende – es sind ein paar von diesen oberschlauen Burschen hier in der Stadt. Vorbeugen ist besser als heilen. Aber seit Sie Lebaliso damals bei seinem Fehltritt erwischt haben, sind alle hier immer äußerst vorsichtig gewesen.« Er lachte gutmütig über Selufus Schwierigkeiten.
»Ach das.«
»Haben Sie das etwa vergessen?« Aleke erinnerte damit eher daran, wie Lebaliso elegant von der Bühne entfernt worden war, als an den Jungen und seinen von Narben gezeichneten Rücken.
»Nein, ich nicht, aber alle anderen. Selufu braucht sich keine Sorgen zu machen.«
»Oh, er ist ehrgeizig, dieser Selufu. Das ist ein kluger Junge. Dem tanzt keiner auf der Nase herum.«
»Ich hoffe, er wird seine Tatkraft dazu gebrauchen, sich die Leute vorzuknöpfen, die Sampson bedroht haben.«
Zumindest war es Selufu bisher gelungen zu verhindern, daß die Jungpioniere aus Gala den Streik in der Eisenerzmine auch diesmal auf ihre Art »beilegten«; er hatte offenbar Polizeisperren errichtet, die sämtliche Fahrzeuge und Fußgänger kontrollierten, die auf dem Weg von und zu der Mine beziehungsweise der Siedlung waren. Das würde die Dinge freilich auch für Shinza erschweren – und für sämtliche seiner Leute von außerhalb, die mit den Streikenden zusammenarbeiteten; aber Shinzas Leute saßen als Arbeiterführer offenbar derart fest in ihren Sätteln, daß das möglicherweise nebensächlich war. Und Shinza? Sein »Hauptquartier« auf Boxers Ranch lag unmittelbar neben der Mine. – Shinza war wahrscheinlich Meilen entfernt in irgendeinem anderen Teil des Landes, wenn nicht sogar jenseits der Grenze. Wenn er Shinza jetzt zu sehen wünschte – ihr alter, vereinbarter Treffpunkt war unmöglich geworden.
Mweta hielt eine rachsüchtige Fernsehrede; eine Fliege krabbelte und hockte – von den Kameras aufgeblasen, haarig unscharf – über dem wundervollen Lächeln, das zu einem aggressiven Mund geworden war. Im heißen, verdunkelten Wohnzimmer der Tlumes fiel der Ton einen Augenblick lang aus, und die weißen Zähne schienen nach der Fliege zu schnappen … Dann war die Stimme wieder da: Er sei »mit seiner Geduld am Ende«, würde »das Gewürm zertreten«, »die dreckigen Lumpen verbrennen, die die schmutzige Subversion trugen«. In aller Öffentlichkeit sprach er von der Tola-Tola-Affäre, obwohl diese
sub judice
stand. Über das ganze Land wurde der Notstand verhängt; in der Hauptstadt gab es eine Sperrstunde. Ein Interview mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Konzerns – offenbar eine Erklärung, auf die man sich nach Konsultationen zwischen der Regierung und dem Konzern geeinigt hatte – füllte in den Zeitungen eine ganze Seite. Der Streik habe den Aussichten des Landes auf Hilfe und Investitionenvon ausländischer Seite bereits einen »Schaden unabsehbaren Ausmaßes« zugefügt. Das Land solle sich nicht »irreführen
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