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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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jetzt: daß ich nie gedacht hätte, daß jemand das jemals von mir erwarten würde. Nicht nur du. Ich selbst.«
    Shinza lächelte ihn beinahe väterlich an. »Ich glaub, wir hatten gar keine Ahnung, wieviel Glück wir gehabt haben, daß wir bis jetzt ohne Gewehre ausgekommen sind. Wenn man daran denkt, was wir wollen. Man erwartet nicht, daß man das umsonst bekommt.«
    Es geht doch bloß um diese ganz winzig kleine Gewalttätigkeit, Bray; und es wird überhaupt nicht weh tun. Es wird andere erwischen – genau wie das Tränengas und die Knüppel.
    »Aber du erwartest es von dir?« sagte Shinza mit beiläufigem Interesse.
    »Ja.«
    »Großer Gott, James, erinnerst du dich noch an die alten Zeiten, als wir nach den Versammlungen ausgehungert zu dir kamen? Nachdem wir die fünfzehn Meilen von der Mologushi-Missiondurch den Regen geradelt waren? Und als von deiner Dienststelle der Befehl kam, ich sei ›zu ergreifen‹ und du dann beschlossen hast, das bedeute nicht, mich zu verhaften, so daß du mich ›ergreifen‹ konntest, nur um es mir zu sagen …?« Sie lachten.
    »Ich bin später wieder da, wenn ich einen Wagen auftreiben kann. Sollte ich um, sagen wir, elf noch nicht zurück sein, dann zähl nicht mehr darauf.«
    Aber Shinza schien zuversichtlich, daß er kommen würde. Vielleicht weiß er sogar, daß ich eine Frau habe und daß es ihr Wagen sein muß, weil man meinen in dieser Provinz zu gut kennt.
    Er fuhr zurück zum Haus und rief aus dem Schlafzimmer nach ihr, um mit ihr unter vier Augen reden zu können. »Du kannst inzwischen meinen Wagen benutzen, und wir sagen einfach, deiner ist in der Werkstatt zur Reparatur. Hjalmar weiß bestimmt nicht, daß du heute früh damit zur Arbeit gefahren bist, weil du immer schon weg bist, wenn er aufsteht …« »Ich bete bloß, daß er läuft«, sagte sie und ließ ihre Augen wie jemand, der sich vorgenommen hat, keine Fragen zu stellen, durch den Raum schweifen.
    Er sagte: »Das einzige, was mir Sorgen macht – was passiert, wenn sie ihn irgendwo verhaften … dann fährt er mit deinem Wagen. Aber wenn’s meiner ist … wenn man mich mit ihm so offensichtlich in Verbindung bringen kann, würde ich nicht mehr viel nützen können …«
    »Nein, nein, nicht deinen.« Sie wehrte jede Erklärung ab, ob nun von ihm oder von ihr selbst.
    Es ging nur um die praktische Seite – wie bei einer Diskussion darüber, welche Vorräte sie am Wochenende auf ihre kleine Expedition zum See hinauf mitnehmen sollten.
    In der Nacht herrschte große Luftfeuchtigkeit, die sich nicht auflösen konnte – Tag um Tag zog die Sonne immer noch Nässe aus dem Boden, selbst in der Dürre, sie kam von den Gewässern und den Urwäldern im Nordwesten. Um halb zehn sagte er, er habe bei Malemba seine Aktentasche vergessen; außer Sichtweite,an der Rückseite des Hauses, nahm er dann Rebeccas Wagen statt des eigenen. Zwischen fliegenden Kakerlaken auf der beleuchteten Veranda des Fisheagle spielten Männer mit Darts; er erinnerte sich, wie er auf dem oberen Treppenabsatz gestanden hatte, am Anfang, als er wieder in Gala gewesen war, und wie er sich eingebildet hatte, er könne den See über die glasige Entfernung hinweg ausmachen. Wenn er ihn tatsächlich hatte sehen können, dann war auch schon das Mädchen dort draußen gewesen. Er hatte das Gefühl, der Kreis der Ungewißheit, der ihn visuell umschloß, wenn er seine Brille abnahm, sei das reale Umfeld, in dem er sein Leben verbracht hatte, und seine Brille sei mehr als das Mittel, eine physische Schwäche zu korrigieren, sei der von ihm gewählte Weg, dem Unerkennbaren ein paar Umrisse zu geben, anhand derer er sich orientiert hatte.
    Er fuhr um das Gebäude herum in den Hinterhof. Shinza lag barfuß auf seinem Bett und rauchte. Zwei junge Männer, die Bray schon vorher in seiner Begleitung gesehen hatte, waren bei ihm. Ein Radioapparat spielte. Bray gab ihm den Schlüssel, und er hielt seine gelbliche Handfläche mit ihren dunklen Furchen hin, der Landkarte eines Chiromanten. »Jemand kann dich zurückfahren.« »Nein, ich kann zu Fuß gehen.« »Teufel, nein, Mann. Wirklich? Ist vermutlich besser.« Beinahe lässig. Die jungen Leutnante saßen da, einer auf einem Stuhl, einer auf einer hochkant gestellten Kiste, ihre Beine aufgepflanzt und vorgebeugt wie Männer, die daran gewöhnt sind, in Anwesenheit von Männern, die Worte gebrauchen, ihre Hände zu gebrauchen. Shinza warf einem von ihnen den Schlüssel zu und befahl ihm auf gala, den Wagen

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