Der Ehrengast
Haus fahren (Aleke hatte ihm neuerdings einen von der Polizei ausgestellten Passierschein verschafft, laut dem er sich auch nach der Ausgangssperre noch auf der Straße aufhalten durfte; ein weiteres Zeichen der Gnade und Gefälligkeit). Sollte Selufu tatsächlich herausfinden, daß der Barkeeper im Fisheagle der Informant gewesen war, dann würde er den Mann wahrscheinlich abholen und in Untersuchungshaft stecken, damit er herausfand, was er nun wieder wußte. Sollte Selufu es aber nicht herausfinden und kam ihm der Vorteil zustatten, daß Bray »zugab«, die Geschichte von den Mißhandlungen sei ihm gerüchteweise aus der Umgebung zugetragen worden, dann würde Selufu ohne Zweifel schlichtweg leugnen. All das war ziemlich weit von etwaigen Schlußfolgerungen entfernt, die er für sich – Bray – ziehen mochte. Er dachte,ich könnte darauf bestehen, daß man mir die Männer zeigt – aber dann wieder: im Namen wessen oder welcher Sache? Selufu war von Mweta wegen des Jungen mit den Narben auf dem Rücken als Ersatz für Lebaliso hergeschickt worden. Wenn ich mir also absurderweise die Autorität anmaße, das zu verlangen, dann geschieht das im Namen von Mweta.
Und gleichzeitig war da jene Bemerkung Selufus, die gefallen war, als er ihn gemeinsam mit Sampson Malemba aufgesucht hatte: »… kein Ärger auf Ihren Überlandfahrten, Colonel …« – die er vage als Anspielung auf seine Kontakte zu Shinza verstanden hatte oder als einen solchen Verdacht. Vielleicht war es eine versteckte Warnung gewesen: Glauben Sie nicht, ich wüßte nicht.
Er muß es wissen.
Und doch war ich in diesem Chaos die ganze Zeit so kooperativ. Habe aus allgemeiner Menschlichkeit heraus gehandelt. Frieden bewahrt. (Im Namen wessen; welche Art von Frieden?) Und vielleicht zögerte Mweta sogar jetzt noch, »sich die Hand freizumachen« …
Während des gemeinsamen Essens redete er kaum mit Hjalmar oder dem Mädchen. Als er mit ihr allein war, küßte er sie ohne Verlangen. Gemeinsam mit Malemba brachte er die tägliche Nahrungsmittelration zum Messegelände; die Männer waren wieder unter der Tribüne, aber noch immer schwer bewacht. Ganz Gala roch wie ausgebrannt vom Feuer bei der Gandhi-Halle. Es gab Meldungen von Aufständen und Brandlegungen an Hütten bei der Fischgefrieranlage am See; Straßensperren hinderten die Fischwagen daran, nach Gala hereinzukommen.
Nach dem Abendessen saß er im Dunkel unter dem Feigenbaum und rauchte eine fade schmeckende Zigarre, die er zufällig gefunden hatte. Jeden Augenblick würde er aufstehen und zu Selufu fahren. Er blieb sitzen. Rebecca kam heraus, und als sie bemerkte, daß er nicht reden wollte, bewegte sie sich so leise wie die Fledermäuse, die wie Schwären den alten Baum bedeckten. Hjalmar nahm ein Buch mit heraus und drehte das eigens zurVertreibung der Insekten bestimmte Licht auf; neben dem patriarchalischen Feigenbaum gab es im Garten noch Jacarandabäume, die man, außer wenn sie in Blüte standen, bewußt gar nicht wahrnahm – während der vergangenen Nacht waren sie aufgeblüht, und das Licht fing sich in den Kelchen ihrer lila Blüten. Kalimo schickte Mahlope um das Tablett mit dem Kaffee; der junge Mann sang mit einer Stimme, leise wie die eines Nachtfalters, etwas vor sich hin.
Er ging ins Haus und stand einen Augenblick lang vor dem Tisch mit dem unabgeschlossenen Bericht darauf, von dem einige Blätter mit Klammern aneinandergeheftet waren, andere in Ordnern lagen und wieder andere von einem Aschenbecher und sogar von dem zu diesem Zweck mißbrauchten Photo von Venetia und dem Baby beschwert wurden – Kalimos Vorsichtsmaßnahme gegen den staubigen Wind, der oft durchs Haus fuhr. Das Papier fühlte sich sandig an. Eine haarige schwarze Fliege lag tot auf ihrem Rücken. Rebecca hatte auf dem Fußboden, den Rücken an seine Beine gelehnt, vor dem Kamin gesessen – er war leer, abgesehen von den Zigarettenstummeln, die sie aus Faulheit immer dort hineinwarfen. Wochen waren vergangen, seit er an diesem Tisch gesessen hatte, seit er einen Brief geschrieben hatte – selbst an seine Frau. Er nahm einen Bogen vom Schreibmaschinenpapier, das Rebecca für seinen Bericht verwendet hatte, und hielt die Details bezüglich des Geldes in der Schweiz fest, Name der Bank, Adresse, Kontonummer, Codewort. Er faltete das Blatt und strich es mit seinem Daumennagel glatt, wobei ihm Asche von der Zigarre darauffiel, dann riß er es vorsichtig auseinander und faltete die Hälfte, die er beschrieben
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