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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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hatte, noch einmal zusammen, um sie in die Tasche seiner Buschjacke zu stecken.
    Er stand auf und rief sie von der dunklen Veranda draußen herein.
    Sie fand ihn im Schlafzimmer, wo sie vor Hjalmar sicher waren. Er saß auf dem Bett. Er sagte: »Morgen fahren wir. Wir packen heute nacht und fahren in der Früh.«
    Sie tat keinen Schritt weiter ins Zimmer hinein. »Warum glaubst du mir denn nicht. Ich fahr nicht.«
    Er streckte seine Hand nach ihr aus. »Komm her. Wir fahren beide, mein Liebling.«
    »Du willst mich nur mitnehmen, weil ich neulich nicht fahren wollte.«
    »Nein, nein. Ich werde dich nicht irgendwo einfach absetzen. Wir fahren. Ich kann nicht hierbleiben und für Aleke den Vigilanten spielen, oder? Wie denn auch?«
    Er saß da, sie stand vor ihm und blickte auf ihn nieder, den Körper leicht zurückgebeugt. Er streckte langsam seine Hände aus und legte je eine Handfläche auf die Konturen der beiden Hüften.
    »Du kommst mit mir?«
    »Wir fahren gemeinsam.«
    »Und dann?«
    »Weiß ich noch nicht. Wir nehmen das Hotel, damit ich niemanden mit dem, was ich tu, kompromittiere … wir werden einfach sagen, daß ich gekommen bin, weil ich dich wegen der unsicheren Situation hier hinunterbringen mußte. – Und es
ist
auch nicht sicher.«
    »Bloß vor einem hatte ich Angst – davor, nicht mehr zurückzukommen.«
    »Ich weiß, aber ich werde bei dir sein.«
    »Willst du nicht mehr hierher zurückkommen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Nie mehr?«
    »Wer weiß.«
    »Dein komisches Haus hier«, sagte sie. Sie setzte sich neben ihn auf das Bett und nahm seine Hände in die ihren.
    Sie fragte: »Meinst du, du fährst in die Schweiz?«
    Die Enge des Raumes um sie herum klirrte gleichsam. In seinem Inneren machte er eine Erfahrung, die genau das Gegenteil der Leere war, des Gefühls, alle Kräfte seien unkoordiniert und zerfallen, das er den ganzen Tag über gehabt hatte.
    »Vielleicht. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Es gibt für mich da noch etwas anderes in Europa zu erledigen. Ich sag’s dir morgen, wenn wir von hier weg sind. Aber was alles andere betrifft, so bin ich nur in der Stadt, weil ich dich hinbringen wollte, hm?«
    »Wie sollen wir denn zusammen weggehen. Nach
Übersee
«, sagte sie langsam und gebrauchte den kolonialen Ausdruck, voller Entfernung und Unerreichbarkeit.
    »Werden schon sehen. Vielleicht gelingt es uns irgendwie. Wir entscheiden später, was wir tun. Hier kann ich nicht bleiben, mein Liebling.« Er streichelte ihr Haar, es war gewachsen und schon sehr lang. Sie sagte: »Woran denkst du?«
    Er lächelte ihr zu. »Wie traurig, einerseits.«
    Sie war diejenige, die an Hjalmar dachte. Sie einigten sich, daß er selbstverständlich zusammen mit ihnen in die Hauptstadt hinunterfahren würde. »Und das wird es ihm erleichtern, mit seiner Familie auf einen Nenner zu kommen. Ich will damit sagen, es wird nicht so aussehen, als würde er zu Kreuze kriechen.« Er ging hinaus in den Garten, um Hjalmar davon zu unterrichten. Der schöngeformte blonde Kopf war nach vorne geneigt, und unter seinem dünner werdenden Haar und der straffen hellen Haut zeichnete sich der Schädel allmählich immer deutlicher ab. Mehr über den Brillenrand hinweg als durch sie hindurch las er die Briefe von George Orwell. Hjalmar nahm die Brille ab und hörte abwesend-einsichtsvoll zu. Dann stand er auf, schloß das Buch und nickte, er habe verstanden. Er stellte ein paar präzise Fragen, die Reise betreffend – ob es wohl keine Straßensperren und keine Schwierigkeiten auf dieser Strecke geben würde, hm? Bray erklärte, er habe nichts dergleichen gehört. Hjalmar ging zielbewußt ins Haus; da erklang seine Stimme, mit der er zu Rebecca irgendwas sagte, und ihr Lachen.
    Bray drehte das Licht aus, und wie ein Stück Papier, das sich unter der Hitze des Feuers aufwirft, schwarz wird und wieder zusammenzieht, schrumpfte die Farbe zurück ins Dunkel. In der Dunkelheit spürte er, wie ein oder zwei große Ameisen, die unablässig um den Feigenbaum herumwanderten, versehentlichüber seinen Fuß krochen. Die vielen Stämme des Baumes, die bis hinauf in eine Höhe von zwölf Metern zusammengedreht waren, bildeten unter der Krone seiner mächtigen, halb kahlen Äste die Silhouette eines riesigen Wigwams. Wie alt war er wohl? So alt wie der Sklavenbaum? Er hatte dicke Narbenwülste entdeckt, wo man ihn an diesem oder jenem Punkt seines Lebens umzuhacken versucht hatte. Ein vertrauenerweckendes Ding, das das Leben selbst der

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