Der Ehrengast
Türenschlagen, erhobene Stimmen.
Neils Art war es, nach dem Heimkommen immer zu sagen: »Ich glaube, wir haben jetzt alle einen Drink nötig.« Sie schienen nicht mit ihr reden zu können, ohne alle drei einen Drink in den Händen zu halten. Sie trank, um es den Bayleys zu erleichtern, aber die Tabletten, die ihr Vivien gab, wollte sie nicht nehmen, weil sie sich danach niederlegen und schlafen mußte und weil es nach dem Erwachen einen Augenblick gab, in dem sie nicht wußte, daß es geschehen war, und sie es aufs neue entdecken mußte. Vivien sagte: »Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, wenn wir dir ein paar Kleider nähten.« Die Nähmaschine wurde ins Wohnzimmer gebracht, und während Vivien nähte und ihr die Stücke für die letzten Stiche hinüberreichte, hielt sie eine Art Monolog aufrecht. Sie trug Viviens Kleider, die ihr besser paßten als das Kleid der Frau des D. O. Es fiel ihr wieder ein, und so sagte sie zu Vivien: »Hast du das Kleid nach Matoko zurückgeschickt?« Vivien erwiderte sanft: »Nein, aber ich tu’s, sobald der Transport wieder klappt, mach dir nur keine Sorgen.«
Sie schlug einen Saum um. Das Material war blaßgrüne Baumwolle. Sie sagte: »Was werden sie mit ihm tun?« Vivien nahm ihre Hände langsam von der Maschine, ihr Gesichtsausdruck eine flehentliche Bitte: »Sie haben seine Frau angerufen, ob sie möchte, daß er zurückgeflogen wird.«
Der Flughafen sei geschlossen, hatte man ihr mitgeteilt. Er würde irgendwo liegen, für derlei Fälle gab es Kühlschränke. Kein Mensch hatte eine Ahnung, wann der Flugverkehr wiederaufgenommen werden würde. Sie hatte versucht, wegen des Flughafens einen Witz zu machen, und hatte gesagt: »Hast du deinen Bürgerkriegstornister auf die Warteliste gesetzt?« Vivien aber nahm das als eine Erinnerung an etwas Unaussprechliches und konnte nicht antworten.
Brandygläser in den Händen, redeten sie über das Geschehene. Von diesem Tag aus – gestern, vorgestern, vorvorgestern – veränderten die aufeinanderfolgenden Tage langsam ihre Stellung um den ersten Tag herum, schob sich eine zweite Version, wie bei doppelter Belichtung, über das, was sie wußte. Die Männer, die sie angegriffen hatten, gehörten zu einer umherstreifenden Bande, die sich aus den versprengten Resten der schrecklichen Tumulte zusammensetzte, deren Zentrum die Asbestmine gewesen war und die eine Woche lang gedauert hatten. Ein Einsatzkommando der Gesellschaft, das von weißen Ausländern angeführt wurde – »
Da hast du’s
«, unterbrach Vivien ihren Mann, »ich hab’s gewußt, daß sie letztlich diese Leute aus dem Kongo einsetzen würden und daß es Mweta nicht gelingen würde, sie aufzuhalten. Ich wußte, daß das passieren würde« –, hatte Maschinengewehrfeuer auf mit Stöcken und Steinen bewaffnete Streikende eröffnet. Die Weißen verfuhren mit ihnen entsprechend ihrer langen Erfahrung mit der Landbevölkerung, die im Namen dessen, der die Rechnung bezahlte, eine Lektion nötig hatten – sie brannten die Siedlung nieder. Die Dorfbewohner und Streikenden hatten einen erfolglosen Überfall auf das alte Hotel Pilchey gemacht, in dem sich die Söldner einquartiert hatten. Irgendwer hatte die Straßensperren errichtet, wahrscheinlichin der Absicht, den Weißen aus dem Hinterhalt aufzulauern (sinnlos, die waren ohnehin schon abgezogen) … Es hieß, der Mann, der mit dem Hüttenverbrennen begonnen hatte, sei ein großer Deutscher, der nicht auf den Militärlastwagen mitfuhr, sondern einen eigenen Wagen benutzte.
Vivien sagte: »Das war aber doch ein kleiner Volkswagen, und obendrein saß eine Frau drin.«
»Für Asbestkumpel unterscheidet sich ein Stabswagen in keiner Weise von einem anderen. Wagen ist Wagen.« Neils Tonfall ihr gegenüber war kühl. »Wenn die Dinge einmal in das Stadium wie jetzt gekommen sind, dann weiß keiner mehr irgendwas. Ich nehme nicht an, daß Mweta wußte, daß die die Leute mit Maschinengewehren niedermähen würden. Daß sie ihnen die Häuser über dem Kopf anzünden würden. Er hat es einfach in die Hände der Konzernarmee gelegt und es ihrem gesunden Menschenverstand überlassen … das reicht schon.«
Sie sagte ihnen: »Die Leute, die uns halfen, kannten Bray. Ein alter Mann, der in den Löchern in seinen Ohren Sicherheitsnadeln hatte. Er kannte ihn schon von früher.«
Neil hatte den Brandy zu Boden gestellt. Er hielt seine Hände zwischen den Knien gefaltet, sein großer strahlender Kopf mit dem Bart (Flußgötterkopf,
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