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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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aber er schlief nicht, sondern streckte sich bloß aus, so gut es in dem kleinen Auto ging, und wandte den Blick von der hypnotisierenden Spur der Straße ab. Jetzt war er es einmal, der ihr Zigaretten anzündete. Für einen Augenblick hatte er seine Augen geschlossen, als er sie neben sich einen kleinen Laut von Ungeduld ausstoßen hörte; er richtete sich im Sitz auf und sah, daß weiter vorn, in ziemlicher Entfernung, abermals eine Straßensperre errichtet worden war. Ein Hitzespiegel auf der Straße vergrößerte den Wirrwarr aus Ästen und Grün; sie konnten nicht genau erkennen, ob sie über die ganze Straßenbreite ging oder nicht. Sie verlangsamte die Fahrt, und angestrengt starrten sie auf das Hindernis. Aber so viel mehr als er konnte sie natürlich auch nicht sehen. »Verdammt nochmal, sie geht
wirklich
ganz drüber. Was machen wir nun?«
    »Fahr langsam weiter.« Er streckte seinen Kopf aus dem Fenster; das Gras war sehr hoch, verdorrtes Elefantengras, das noch von der letzten Regenzeit übriggeblieben war; ein abgestorbener Baum war in die Straße gezogen worden, samt Wurzeln und allem, und über ihn hatte man abgebrochene Äste gehäuft. Sie blieb stehen und stellte den Motor ab.
    »Schauen wir’s uns an. Du bleibst aber noch einen Augenblick da drin.«
    Langsam ging er auf die Barriere zu, kletterte auf die andere Seite hinüber, ging hin und her und kletterte wieder zurück. Er kam lächelnd zum Wagen hin. »Wie energisch fühlst du dich? Wir haben da harte Arbeit vor uns.« Sie stieg aus, und sie fingen mit dem Kleinzeug an, den abgebrochenen Ästen. Aber der Stamm mit seinen abgestorbenen Wurzeln, die einen großen Erdbrocken umklammerten, zusammen mit dem ihn wohl irgendein Sturm entwurzelt haben mußte, wollte sich nicht von der Stelle rühren. Angesichts des Gegrunzes, das ihre Anstrengungen begleitete, begann sie hilflos zu lächeln. »Wart einen Moment, Kleines. Wie wär’s, wenn wir es mit dem Wagenheber versuchen? Wenn wir ihn unter diese Einbuchtung da zwängen können, vielleicht gelingt’s uns dann, ihn ein wenig anzuheben und zu schieben.«
    Der Wagenheber befand sich nicht vorne im Kofferraum, sondern unter dem Rücksitz, weil die Klammer, die ihn am rechten Ort halten sollte, schon als er den Wagen gekauft hatte, gebrochen gewesen war. Er stieg hinein und stellte den Picknick-Korb auf den Vordersitz und hob den hinteren in einer Staubwolke mit einem Ruck hoch. Gleichzeitig brach etwas aus dem Gras hervor, und er spürte, wie er am Fuß, um die Mitte gepackt und zwischen Lenkrad und Fahrersitz eingezwängt wurde, irgendwie verzweifelt behindert durch die Kraft und Größe seines Körpers. Mit einem Mal wimmelte es überall draußen und im Wageninnern von Leuten, kein Laut war zu hören gewesen, und jetzt war da nichts als Brüllen und Schreie und seine ungeheure, lungen- und muskelzerreißende Anstrengung, und er wußte nicht, brüllten die Männer, die über ihm waren, oder schrie Rebecca. Die entsetzlicheAnstrengung, von ihr gehört zu werden, mit seiner Stimme sie zu erreichen, damit sie davonliefe, war größer noch als die Anstrengung, mit der er sich zur Wehr setzte. Sie hatten seine Beine aus dem Auto gerissen, mit dem Nacken schlug er auf dem Wagenboden auf, so daß er taub wurde, seine Stimme für ihn zu einem lautlosen Schrei wurde, weil Schmerz ihn einen Augenblick lang fällte, dann aber brach rohe Gewalt in ihm durch, und er kam wieder auf die Füße, wußte, daß er, stolpernd, riesig inmitten von Männern, die kleiner waren als er, auf die Füße stolperte. Dann war er unter ihnen, blickte zu ihnen auf und sah die Gesichter, er sah die Stöcke und Steine und die Farmwerkzeuge, und dahinter die Sonne. Wieder und wieder ging etwas auf ihn nieder, und er wußte, daß er sich in Krämpfen wand, daß er in schwarze, pechschwarze Ohnmacht fiel und wieder emportauchte, sich aufbäumte, um sich abermals zusammenzukrümmen, wo er von Schlägen getroffen wurde, wo ihm der Atem versagte, und er dachte, er richte sich noch einmal auf, dachte, er höre sich selbst schreien, wollte auf gala zu ihnen reden, aber kein Wort fiel ihm ein, kein Wort Gala, und dann zerplatzte etwas in seinen Augen, auf ihnen lag feucht eine Blume, und er dachte, er wußte: Ich bin also unterbrochen –

TEIL SECHS

 
     
    SIE LAG LANGE im Bachdurchlaß neben der Straße. Ihre Nägel waren voll roter Erde. Die roten Erdwälle, die über und über von verdorrten Grasbüscheln bedeckt waren, stiegen zu

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