Der Ehrengast
höre, in
cinéma
? Oh, Geschäfte immer gut, aber jetzt, dieser verdammte Krieg oder was.
Was? Was?
Isch hier mit meine Leute, gestern eine Woche schon.«
»Wohin sind Sie denn unterwegs?«
»Isch gehe Süden. Runter, runter. Weit von hier. Isch habe Karte, aber Flugzeug fliegt nischt. Isch möschte nach Jewburg. Sie sisch daran erinnern?«
Ja, sie erinnerte sich; er hatte sich immer schon danach gesehnt,Johannesburg zu sehen. Er hatte sich nicht davon überzeugen lassen wollen, daß Südafrika Schwarze aus anderen Ländern in der Regel nicht einließ und daß er – sollte er doch hineinkommen – seine gewohnten Freiheiten in Bars und bei Mädchen dort nicht würde genießen können.
»Wissen Sie – isch dort jetzt Geschäfte machen. Isch schon habe geschickt Waren dreimal dorthin – dreißigtausend Francs. Bezahlung in Schweiz. Nischt Kongo.« Er brüllte vor Lachen wegen der alten Geschichte. »Aber Sie krank, Madame Edouard? Warum Sie so …« Er zog seine beringte Hand schmerzerfüllt über sein Gesicht. »Sie wenig Geld?«
»Nein, nichts. Es geht mir schon gut. – Ich sehe Sie doch noch einmal, wenn ich herauskomme. Ich muß jetzt gehen und Mrs. Wentz suchen.«
»Jederzeit. Jederzeit. Sieht aus, isch bis Weihnachten bleiben.«
Ihre Finger fühlten sich feucht und zittrig an. Als er dieses Gesicht geschnitten und dabei bloß komisch gewirkt hatte, hatte sie plötzlich gespürt, wie ihr die Tränen wieder in die Augen stiegen. Bei den Bayleys war sie ausgetrocknet gewesen: wie eine Kuh, die keine Milch mehr gibt.
Margot Wentz hatte ihr gebleichtes Haar auswachsen lassen. Während sie sich miteinander unterhielten, starrte sie die ganze Zeit auf jene drei Zentimeter scheckiger weißer und goldener Haare an Margots Scheitel. Vielleicht war es ein Zeichen privater Trauer. Sie saßen in dem kleinen Salon am runden Tisch mit dem gesäumten Tischtuch. Der Kaffee war schon fertig und wurde mit silbernen Teelöffeln und einem silbernen Sahnekrügchen in Tulpenform serviert. Sie sprachen von Hjalmar so, als hätte er eine schwere Krankheit gehabt und als wäre ihm nahegelegt worden, zur Erholung nach Gala zu fahren. Rebecca sagte, er habe in letzter Zeit viel besser ausgesehen. Die Arbeiten, die er verrichtete, dieses Herumwursteln im Garten, schienen ihm gutzutun. Sie sagte in einer Art Abschlußerklärung alles dessen, was ungesagt geblieben war: »Er hat sich angeboten, zu bleiben und nach dem Haus zu sehen«, und über Margot Wentz’ Gesicht glitt ein Ausdruckpeinlicher Betroffenheit, denn nun waren sie unvermeidlich bei jenem Punkt angelangt, an dem zur Sprache kommen mußte, was passiert war: bei jenem Tag, an dem Rebecca und Bray aus Gala weggefahren waren. Jedesmal, wenn Rebecca in ihrem Bericht über Hjalmars Leben den Namen Bray erwähnte, zuckte Margots linke Wange ein wenig, so als würde dort drinnen eine Saite mit einem Ruck angezogen, nun aber konnte sie nicht länger ausweichen. Sie sagte etwas über diese schreckliche Geschichte, und was er doch für ein wunderbarer Mann gewesen sei; sie starrte Rebecca an, unfähig weiterzureden. Sie sah großartig aus; im Gegensatz zum Gesicht Loulous war das ihre dazu geschaffen, Tragik auszudrücken.
Sie tranken noch mehr Kaffee, und Rebecca erkundigte sich nach dem Hotel und ihrem Sohn Stephen. »Niemand weiß, was geschehen wird«, sagte Margot beinahe majestätisch. »Ich habe nicht das Geld, um wegzugehen, wenn ich es möchte. Und selbst wenn wir es wollten, der Flughafen ist gesperrt. Die Grenzen vermutlich auch. Hjalmar hätte es hier nicht besser …« und dann fiel ihr ein, daß er – wäre er nicht geblieben, um »nach dem Haus zu sehen« – jetzt vielleicht tot wäre, und auf ihr Gesicht trat wieder jener Ausdruck von Erschütterung, den, wie Rebecca bemerkte, ihre Gegenwart in den Gesichtern der Menschen hervorrief. Rebecca erkundigte sich nach der Tochter, und das war besser; sie lasse sich gerade in London nieder – »Natürlich gibt’s dort all das, was Emmanuelle hier nie gehabt hat, all die Konzerte und Liederabende – Musik ist ihr Leben, verstehen Sie.«
Als sie aufstand, um sich zu verabschieden, sagte Margot zu ihr: »Rebecca, wenn Sie irgendwas brauchen sollten. Ich weiß nicht, was – eine Bleibe vielleicht?« Aber sie bedankte sich bei ihr, nichts dergleichen, sie wohne selbstverständlich bei den Bayleys. »Ich habe bemerkt, daß Sie einen unserer alten Freunde in Ihrem Hotel zu Gast haben – den berühmten Loulou
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