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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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beiden Seiten auf. Den Kopf an sie gepreßt, wartete sie darauf, daß es auch ihr geschah. In ihrem Mund waren Erde und Speichel. Sie schluckte und heulte wie ein Tier. Sie hörte das Reißen der Flammen und sah den dicken Rauch.
    Und dann war Stille. Hinter dem Geräusch des Brennens – nichts. Das Feuer erstarb, nur der Gestank und der Rauch blieben zurück.
    Als sie anfingen, ihn aus dem Wagen zu zerren, war sie zuerst zu ihm hingelaufen. Er war auf die Beine gekommen und hatte ihr direkt in die Augen geblickt, ohne sie, aufgrund seiner Kurzsichtigkeit, zu sehen. Aber im gleichen Sekundenbruchteil war er unter ihnen zusammengebrochen, und das Geräusch der Schläge auf den Widerstand seines großen Körpers, das zu ihr herübergedrungen war, hatte sie wie verrückt durch das Gras gejagt, gegen das sie ankämpfte. Im Laufen vertrat sie sich die Knöchel, und ihr stolperndes Gerenne stieß auf eine Art von Schneise, die in den Boden gegraben worden war, hinunter. Und da lag sie, tief im Graben hinter dem Gras. Aber keine zwanzig Meter war sie von ihnen, war sie von ihm entfernt, und sie wußte, auch auf sie kam das zu, da half nichts, und zwischen diesen Wällen gehalten, wartete sie auf sie.
    Sie war sicher, da in der Stille mußten sie sein.
    Sie rührte sich nicht. Der Rauch quoll jetzt nicht mehr in die Höhe; er war dünn, hing unbeweglich da. Sie wußte nicht, wieviel Zeit verstrich. Aber die Stille war leer; über ihr, in den Spitzen der hohen Grashalme zwischen ihr und der Straße flitzten und schwangen sich purpurne Webervögel hoch und tschilpten eine Frage. Mehr Zeit verstrich. Sie erhob sich und versuchte ausdem Bachdurchlaß zu klettern, aber die Wälle aus Erde waren zu hoch. Sie ging den Weg zurück, den sie hineingejagt worden war, den diagonalen Einschnitt, der von den Straßenarbeitern gezogen worden war, hinauf. Sie schob sich schwach durch das schwere Gras. Der Wagen lag auf der Seite, schwarz, die Sitze noch glosend, die Straße glasübersät.
    Er lag abseits davon. Er lag auf der Straße, unversehrt vom Feuer. Unversehrt. Sie schluchzte vor Freude darüber, daß er nicht verbrannt war, sie ging zu ihm hin, zu seinen Beinen, die auseinandergeglitten waren, konzentriert, aber nicht schnell – sie konnte sich nicht schnell bewegen. Sie ging ganz um ihn herum, erzeugte ein Geräusch, das sie noch nie zuvor vernommen hatte. Immer wieder um ihn herum. Sein Körper – seine Brust, der große Torso über den reglosen, schmalen, männlichen Hüften, die er sich trotz seines Gewichtes bewahrt hatte – war etwas Formloses, etwas, das unter die verschmutzte Buschjacke hineingestopft worden war, aber er war noch da. Es gab ihn noch als Ganzes. Seltsame, weich aussehende Flecken aus Erde und Blut; aber die ganze Masse seines Körpers, vollständig. Eine Menge Dreck und Blut auf dem Gesicht, eine Art Grimasse bei leicht zurückgezogenen Lippen, so als versuchte er etwas Festgeklemmtes aufzuschrauben.
    Plötzlich bemerkte sie, daß seine Brillengläser in seine Jochbeine hineingeschlagen worden waren. Der Rahmen lag neben seinem Ohr, aber das Glas war da, eingebettet in das feste Fleisch unmittelbar unter jener zarten, schwach schimmernden Hautpartie, die seine Brille immer geschützt hatte. Das Glas war so fest hineingepreßt, daß das Fleisch weiß geworden war und kaum geblutet hatte. Sie kniete nieder und versuchte, in ihren Fingern fliegende Ungeduld, das zerbrochene Glas zu entfernen. Sie war nur darauf bedacht, ihm nicht weh zu tun, es war schwierig, ohne ihm weh zu tun.
    Nach einer Weile ging sie weg und setzte sich auf den weißgekalkten Kilometerstein am Straßenrand. Ihre Augen standen nicht offen, doch die Lider waren nicht ganz geschlossen undließen einen glitzernden Strich sehen. Sie brach den Schaft eines vertrockneten Grashalms ab und entfernte damit die Erde unterhalb ihrer Nägel, voll Sorgfalt, einen nach dem anderen. Es war sehr heiß. Schweiß rann ihr seitlich über das Gesicht und unter dem Haar den Nacken hinab. Die ganze Zeit sah sie ihn an. Sie entdeckte, wie in ihr eine sonderbare und furchterregende Neugier aufstieg; irgendwie hing sie mit seinem Körper zusammen. Sie stand auf und ging abermals zu diesem Körper hinüber, um ihn zu betrachten: Dies war derselbe Körper, den sie die Nacht davor liebkost hatte, der in ihr gewesen war, als sie eingeschlafen war.
    Der Korb und seine Aktenmappe waren aus dem Wagen geschleudert worden und nicht verbrannt. Sie hob die beiden Dinge

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