Der Ehrengast
hatte Bray ihn einmal genannt) starrte zwischen seinen Beinen hindurch, daß an seinem rosigen Hals die Adern sichtbar wurden. Er sagte heiser, streng: »Ja, sie haben ihn gekannt. Aber es braucht nicht mehr als eine Handvoll Fremder. Bergleute werden aus dem ganzen Land zusammengeholt. Weiß der Himmel, woher
die
kamen. Es weiß ja auch keiner, wer diese weißen Männer waren. Weiße Männer von irgendwo. Vielleicht reisen sie in Volkswagen, vielleicht haben sie Frauen bei sich. Wer diese Straßensperren da, nur eine Meile von den Leuten entfernt, die ihn seit zwanzig Jahren kannten, errichtet hat, das war ein Haufen Männer, die ihn vorher noch nie gesehen hatten. Das ist alles.«
Agnes Aleke besuchte sie. Agnes trug ihre glatte Perücke, sie war schick angezogen und weinte in einem fort. »Wenn Sie nurmit mir im Flugzeug gekommen wären, wenn Sie nur mitgekommen wären, als ich abflog.« Durch Brays Tod schien sie an ihrem molligen, sinnlichen, kleinen Körper all das zu erfahren, was sie für ihn gefürchtet hatte. Rebecca saß mit ihr im Garten und hielt ihre Hand, um sie zu beruhigen; Vivien brachte Tee hinaus: »Kommen Sie und bleiben Sie bei mir, Rebecca, ziehen Sie ins Haus meiner Mutter. Es ist hübsch. Ach, wie ich diese Stadt gehaßt habe, dieses Gala, da bringt mich kein Mensch mehr hin, niemals – und wie Sie uns hassen müssen –, ich hab zu meiner Mutter gesagt, hassen wird sie uns, und weshalb sollte sie’s auch nicht.« Sie umarmten einander, wobei Rebecca sie zärtlich tätschelte, während sie schluchzte. Vivien sagte mit fester, freundlicher Stimme: »Was halten Sie von unseren Schneiderskünsten, Mrs. Aleke? Wissen Sie, das Kleid, das Rebecca gerade anhat, das haben wir zwei ganz allein gemacht.«
Roly Dando kam. Es war spät am Nachmittag; alle tranken sie. Der dünne, kleine Roly hatte die Ausstrahlung – düster, verhängnisvoll – eines Menschen, der weiß, was in einer Zeit der Verwirrung und des Aufruhrs geschieht, wenn alle verfügbaren offiziellen Informationen aufhören glaubwürdig zu sein. Es war bekannt, daß sich Mweta nicht in der Residenz des Präsidenten aufhielt; seine Botschaften an das Volk wurden zwar weiterhin bekanntgegeben, allerdings aus irgendeinem unbekannten Zufluchtsort. Es hieß, daß es sich bei seinen Fernsehauftritten um alte Aufnahmen handle, in die man auf Tonband aufgenommene Statements montierte – wenn auch nicht mit allzuviel Geschick. Das wurde nicht erwähnt. Aber sie redeten. Dando schien überzeugt, daß sich Shinza jenseits der Grenze aufhielt und einen Guerilla-Aufstand plante. Dhlamini Okoi und Moses Phahle, der Gesundheitsminister, waren verschwunden und hielten sich offenbar bei ihm auf. Goma saß angeblich im Gefängnis; es saßen so viele Menschen im Gefängnis, daß man von jedem, den man ein paar Tage lang nicht sah, vermutete, daß er dort sein müsse. Neil sagte: »Roly, stimmt es, daß Mweta um britische Truppen gebeten hat?«
Roly saß da im Halbdunkel und reckte seinen sehnigen, mageren Hals kerzengerade aus dem Kragen; er schien es nicht gehört zu haben. Er erhob sich, um sich noch einen Drink zu holen, und blieb zögernd bei Rebecca stehen. Er legte ihr die Hand auf den Kopf: »
La Fille aux Yeux d’Or, La Fille aux Yeux d’Or
.« Er stelzte umständlich zum Verandatisch und schenkte sich etwas ein. Er kehrte zurück und setzte sich auf die Lehne ihres Sessels, legte den Arm um sie und berührte ihren Hals, während er weiterredete, und war, als er ein wenig betrunken wurde, nicht einmal jetzt imstande, sich die elende Gelegenheit, aus seinem Kummer einen Vorteil zu schlagen und eine Frau zu streicheln, entgehen zu lassen. Er sprach von Bray: »Die Sache ist natürlich die, daß alle unseren lieben Freunden in Übersee sagen werden, er wurde von den Leuten umgebracht, die er geliebt hat, und was kann man denn sonst schon von denen erwarten, und wie undankbar die doch sind, und all das Strafe-und-Undank-Zeug und das Zweiund-zwei-macht-vier-Gequassel, das man für eine intelligente Interpretation von derlei Ereignissen hält. Das ist es, was mich dabei ärgern würde. Oder ihn amüsieren. Ich weiß nicht.«
Aus dem Dunkel kam Viviens schöne, kontrollierte Stimme: »Wenn wir wenigstens wüßten, daß James selbst wußte, daß es das nicht war, als es passierte.«
»Selbstverständlich wußte er das!« Roly sprach mit der unanfechtbaren Autorität von Freundschaft auf einer Ebene, die keiner der anderen geteilt hatte. »Er hat
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