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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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mit diesem Haufen geistiger Bettnässer, die in seinem Tod ein Surrogat für ihre Ängste finden, nichts zu tun! Er wußte, was man unter historischen Kräften zu verstehen hat, er wußte, wie gefährlich die Energien sind, die der soziale Wandel freisetzt. Aber wenn schon. Sie werden sagen, ›seine Schwarzen‹ haben ihn umgebracht. Und sie werden noch einen Schritt weitergehen: Sie werden ihre Schuldgefühle rauskramen, die gesühnt werden müssen, und sagen, ja, er ist wirklich als wahrer Christ von uns gegangen, der den Leuten, die ihn umbrachten, vergab. Mein Gott! Daß das nicht in die Köpfe der Menschen reinwill. In alles mischen sie sich mit ihrer klebrigenVerständnislosigkeit ein.« Wegen der Ausgangssperre blieb Roly über Nacht. Im Zimmer neben dem, das man ihr gegeben hatte, hörte sie ihn schnarchen.
    Vivien redete mit ihr viel über ihre Kinder, über Clive, Alan und Suzi, aber sie selbst dachte überhaupt nicht an sie. Sie hatte Blutungen, obwohl es noch nicht an der Zeit war, und als sie eintraten, dachte sie: Es ist also nie geschehen; es wird nie ein Kind dasein. Vivien legte ihr kleine Dinge in den Weg, um sie zu beschäftigen, so als triebe sie irgendeine verirrte Kreatur aus Gutmütigkeit einen Pfad entlang. »Ich glaube, du solltest Margot besuchen. Wenn dir danach ist. Sie ist ganz fertig. Sie möchte wirklich gerne wissen, was mit Hjalmar los ist, aber sie würde das natürlich nie zugeben.« Sie nahm Viviens Wagen und fuhr zum Silver Rhino. Es war das erste Mal seit jenem Tag, daß sie wieder selbst fuhr. Das Auto war der gleiche Typ – ein älteres Volkswagen-Modell. Ihre Füße und Hände erledigten alles automatisch. Es war erst fünf Tage her.
    Wieder hatte es die ganze Nacht hindurch geregnet, und der Morgen war wunderbar. (Zieh das grüne Kleid an, sagte Vivien.) Rund um das Postamt und um die Rundfunkstation waren Soldaten postiert, und ein Kordon hielt die Menschen von dem Areal fern, von dem aus man die Zeitungsredaktion mit Steinen beworfen hatte. Vor dem Bahnhof und der Busstation saßen Hunderte von Frauen, Kindern und alten Leuten in einem bunten Haufen zwischen Haushaltsgütern und Geflügel in der prallen Sonne und stanken furchtbar nach Urin und verfaulendem Gemüse; es fuhren weder Züge noch Busse.
    Und überall trieben der Regen und die Hitze Blumen hervor. Die Soldaten in ihren graubraunen Kampfanzügen standen unter blühenden Bäumen, Poinsettia und Hibiskus leuchteten grell wie Karnevalspapierblumen entlang der Auffahrt zur Residenz des Präsidenten, von der es hieß, sie sei leer. Im alten Garten des Silver Rhino parkte ein riesiger amerikanischer Wagen und dahinter ein zweiter, älterer, aber kaum weniger großer. In der Ablage hinter dem Heckfenster des neuen hingen Nylonvorhänge,und die Sitze hatten Schutzbezüge mit Ozelot-Musterung. Auf dem Gras vor einem der Bungalows saßen ein paar Schwarze im Pyjama, die sie auf ihrem Weg zum Hauptgebäude gar nicht so recht wahrnahm. Einer von ihnen aber kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, ein fetter Riese mit einer Zigarre im Mund und einem Barett aus Leopardenfell auf dem Kopf: Loulou Kamboya, Gordons Expartner aus dem Kongo. »Madame Edouard – isch habe gesagt, isch kenne das Mädschen, das dort drüben geht! Was Sie da tun?« »Loulou – und Sie?« Er nahm sie bei den Schultern, strahlte sie an, ein riesiges, traubenschwarzes Gesicht mit dicken Fleischwülsten, die die Ohren nach hinten und sogar noch die Stirne oberhalb des Nasenrückens nach oben drückten. »Isch mach Geschäfte überall. Sie kennen Loulou. Aber was ist mit diese Kämpfe? Die verrückt, hm? Isch sitze hier, komme gestern eine Woche mit meinen Leuten, nischt zu tun, nischt. Manchmal isch denke, isch sollte
faire une petite folie
–« Er schüttelte sich vor Lachen. Sie wußte von Gordon, daß
faire une petite folie
bedeutete, daß man sich nach einem Mädchen umsah, mit dem man schlafen konnte; Loulou und Gordon redeten französisch miteinander, das Kongo-Französisch, das von den halbgebildeten Schwarzen gesprochen wurde und mit Lingala-Wörtern und belgischem Dialekt vermischt war, aber Loulou war immer stolz darauf gewesen, daß er mit ihr englisch sprechen konnte, damit sie sich nicht ausgeschlossen vorkam. »
Et les bébés
, schon groß? Wo Gordon? Er wieder machen Geld, oder keins? Ah, Gordon, wenn er diesmal bei mir bleiben, Sie haben genug Kleider! Isch verdiene großes Geld – wirklisch, isch sage, großes Geld, hm? – Isch

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