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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Stadt.
    Sanftbuckelige Felder, die noch immer grün bewachsen waren oder auf denen von der Ernte her die Stoppeln standen. Ein Kältehauch hüllte sie in Nebel. All die neuen Gebäude bestanden aus den gleichen schweren schwarzen Rahmen, die das Glas vom gleichen schimmernden Grau des den Himmel reflektierenden Sees in quadratische Flächen unterteilten. Aus dem See stieg ein hoher Strahl auf, der aussah, als stammte er von einem dort drinnen gefangengehaltenen Wal. Das Hotel, an das sie das Mädchen am Flughafen verwiesen hatte, war eine ehemalige Villa, die über dem See lag, und sie mußte die Straße hinuntergehen, um von dort aus die Straßenbahn ins Stadtzentrum zu nehmen.Die Häuser hatten kleine Dachgiebel, Balkone, Türme und waren hinter Doppelfenstern weggeschlossen; ein an einer Wand entlanggezogener Spalierbaum trug immer noch eine einzelne, rotbackige und verschrumpelte Birne. Sie trug den Kamelhaarmantel, und an den Beinen war ihr kalt. Die Bahn schwankte und schaukelte auf ihrem Weg steil bergab, und zusammen mit allen anderen stieg sie an der Endstation in der Hauptstraße aus. Sie hatte ihre Hand in der Manteltasche geballt, und in ihr, nicht in der Handtasche, steckte das Stückchen Papier; die Bank lag offenbar in dieser Hauptstraße. Sie ging an ihr entlang, um zu sehen, in welcher Richtung die Nummern liefen, und überquerte sie, weil die geraden Nummern auf der anderen Seite waren, und ging weiter und weiter, wobei sie immer mehr das Gefühl hatte, jeder ginge gerade auf sie zu, als ob sie gar nicht da wäre. Dann begriff sie, daß die Leute sich hier auf der rechten und nicht auf der linken Seite hielten. Die Straße war sehr lang und breit und voller Leben, aber sie hatte keinen Blick für Geschäfte und Menschen, sondern nur für Nummern. Es gab da eine Bank mit seidig glänzender Fassade und kleinen Schaukästen, in denen eine glückstrahlende Puppe unter einer blonden Perücke ihre Ersparnisse in die Höhe hielt, aber es war nicht die richtige Bank. Sie zeigte jemandem den Namen auf dem Zettel und wurde ein paar Meter weiter gewiesen, hin zu einem Portikus auf Säulen mit riesenhaften Doppeltüren. Sie fand sich in einem widerhallenden Saal mit schwarz-weiß gekacheltem Fußboden wieder und ein paar Kojen aus Mahagoniholz und mit Messingbrüstungen, die weit hinten an die Wände zurückgedrängt waren. Ein Portier trat ihr in den Weg, als sie auf eine von ihnen zugehen wollte. Er verstand sie nicht und brachte sie zu einem blassen Beamten, der perfekt englisch sprach. Sie schickten sie in einem Mahagonilift hinauf durch das große Gewölbe des Gebäudes. Das Gefühl von Fremdheit, das im Flugzeug in ihr aufgekommen war, wurde stärker und stärker.
    Dann war da ein weiterer widerhallender Saal, in dem Fußtritte eine langgezogene Annäherung oder ein Rückzug waren. Aber esgab da eine Ecke mit einem dicken Teppich und Sessel mit Lederund Samtbezügen. Sie setzte sich und warf einen Blick auf die Bankjournale in Französisch und Deutsch, die voller Photos von Fabrikgebäuden aus schwarz umrahmtem Glas waren und von Skifahrern, die Flügel aus Schnee hatten. Ein Inder und seine Frau warteten ebenfalls – die Frau in einem Sari aus gazeartigem Stoff und darüber eine Strickjacke, wie sie eine Fremde aus einem anderen Klima.
    Sie glaubte jetzt nicht mehr, daß hier irgendwer über das Konto Bescheid wissen würde oder daß das Konto und das Geld, von dem man, so weit weg, gesprochen hatte, überhaupt existierten. Eine Hochstaplerin mit nackten Beinen und im geborgten Mantel ging Korridore entlang, vorbei an Blumenkästen, an einem hölzernen Bären, über dessen Arme Hüte und Schirme hingen, bis zu einem großen, stickig-heißen, schallgedämpften Raum, der mit keinem Büro vergleichbar war, das sie je betreten hatte. Noch ein hölzerner Bär. Ein Bücherschrank mit einer Glasfront. Die Tischplatte, die eine Karyatide in Gestalt eines Satyrs emporhielt. Dazu auch ein Schreibtisch, dessen Funktionalität allerdings durch geprägtes Leder, Photographien und einen Topf mit afrikanischen Veilchen in einem vergoldeten Übertopf derart gelindert war, daß er einfach wie ein gewöhnliches Möbelstück aussah.
    Herr Weber stellte sich auf die Art eines Arztes vor, der das Intimste mit der gleichen freundlichen Güte anhört, mit der er sich nach der Regelmäßigkeit der Darmtätigkeit erkundigt. Er hatte ein gepflegtes, freundliches Gesicht und einen altmodischen Bauch, den eine Uhrkette zierte.
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