Der Ehrengast
Händlerinnen um eingebrachte Fänge feilschten, welche sie in den Kofferräumen von Taxis abtransportierten. An der der Stadt zugekehrten Seite stand ein neuerrichteter Komplex aus über und über von Mosaiken und Metall-Collagen bedeckten Bank- und Versicherungsgebäuden und davor jene monumentalen Skulpturen von schwarzen Göttinnen, die weiße Architekten gerne für Kolonien in Auftrag geben, deren einheimische Bevölkerung besonders schlecht ernährt ist. Es gab da Läden, die mit Kofferradios, Tonbandgeräten und elektrischen Grillen mit knusprig-braunen Gipshähnchen am Spieß vollgestopft waren. Andere Gebäude, Lagerhallen und Magazine waren mit Brettern verschlagen, und von wieder anderen, mit
trompe-l’œil
-Säulen und blaß um Türen und Fenster aufgemalten Girlanden, löste sich der pastellfarbene Fassadenanstrich. In den Straßencafés saßen Männer und lasen Zeitungen; die Weißen ließen sie ein Stückchen sinken, wenn eine Frau vorüberging. Sie saß auf der Straße an dem einen oder anderen der Tische über längere Zeit, trank ihren stark gesüßten schwarzen Kaffee und beobachtete die großen Vögel, die den ganzen Tag im seichten Wasser der Bucht standen und bei Ebbe so aussahen, als wären sie im Sand gestrandet, während sie sich bei Flut nicht von ihrem Spiegelbildlösen konnten, das sie, verkehrt herum, aus der ruhigen, blassen Oberfläche anstarrte. Einmal ging sie bis knapp an den matschigen Schlamm, aber die Vögel bewegten sich nicht. Am Rand der Promenade standen Betonbänke. Eine Zeitlang saß sie da, belästigt von den bettelnden Kindern, die Lotterielose verkauften, und jungen portugiesischen Soldaten; vielleicht waren diese Bänke traditionell der Ort, an dem man Mädchen aufgabelte, obwohl die Prostituierten in dieser Stadt wohl kaum weiß sein durften. Die Soldaten kamen aus einem alten Fort auf einem der gelben Hügel über der Bucht; kam sie aus dem Hotel Lisboa und wanderte die Promenade links anstatt rechts hinauf, so ging sie darunter vorbei. Es war massiv gebaut und so abgenützt wie die Krone eines alten Backenzahns; die Portugiesen hatten es vor fünfhundert Jahren erbaut und waren immer noch da – Armeejeeps fuhren die steile Straße zu den Wällen hinauf, und unter den alten Feigenbäumen, die in den Mauern, die ebenfalls nie nachgegeben hatten, Wurzeln geschlagen hatten, standen die Häuschen für die Wachen. Nachts wurde es von Scheinwerfern angestrahlt; eine der Sehenswürdigkeiten, die der dreisprachige Führer neben ihrem Bett erwähnte.
Das Flugzeug ging erst am Abend des zweiten Tages um sechs Uhr. Sie kaufte eine Flasche Shampoo, wusch sich das Haar und ging hinaus auf den kleinen quadratischen Platz, um es in der Morgensonne zu trocknen. Ein zerlumpter alter Neger, dessen Mütze das Stadtwappen zierte, besprühte mit einem Schlauch die derben Blätter der Sträucher. Es gab keine englischen Zeitungen, aber auf dem Tresen der Hotelrezeption stand ein Zeitungsständer aus Draht, auf dem für ausländische Geschäftsleute, die zu jeder Tageszeit unter den Neonlichtern der Bars saßen, Hände schüttelten und sich mit ortsansässigen Geschäftsleuten und deren Anhängseln mühsam verständigten,
Time
und
Newsweek
auslagen. Sie saß auf dem Platz und blätterte im
Time Magazine
, während die Arbeiter vom Gerüst herunter nach ihr pfiffen. Eheschließungen, Scheidungen, Todesfälle – Schauspieler, Mitglieder exilierter Königshäuser, amerikanische Politiker, von denen sienoch nie etwas gehört hatte. Bilder einer Gruppe von nackten Studenten, die auf einer hochgeschwungenen Brücke eine Puppe verbrannten; Bilder eines vietnamesischen Mädchens, die einen Arm unterhalb des Ellbogens in einer Explosion verloren hatte. Am unteren Ende einer Seite die Photographie, der Name – ENE-MENE-MWETA-MUH – RAUS BIST DU ?
Dies war das Jahr der Staatsstreiche in Afrika – ein halbes Dutzend Regierungen seit Jahresanfang gestürzt. Der gutaussehende Musterschüler der westlichen Staaten, Adamson Mweta (40), ist das letzte der gemäßigten Staatsoberhäupter des Kontinents, das sich an den Sicherheitsgurt des Präsidentensessels klammert, während Unruhen sein Land erschüttern. Seine Gefängnisse sind überfüllt, und trotzdem kann er nicht mit Sicherheit sagen, welcher von denen, die sich – ob nun rechts oder links – noch auf freiem Fuß befinden, Freund oder Feind ist. Sein Außenminister, der weltläufige Antikommunist Tola Tola, sitzt hinter Schloß und Riegel,
Weitere Kostenlose Bücher