Der Ehrengast
nachdem es letzten Monat Gerüchte über einen geplanten Umsturz gegeben hatte. Sein treuer weißer Freitag, der Afrika-Experte Colonel Evelyn James Bray (54), der ihn bei den Verhandlungen über die Unabhängigkeit beraten hatte, wurde unter mysteriösen Begleitumständen auf dem Weg in die Hauptstadt ermordet. Sein ehemaliger Kampfgenosse, der Linke Edward Shinza, zettelte innerhalb der Gewerkschaften erfolgreich einen Aufstand an, der von einem Generalstreik zum landesweiten Chaos eskalierte. Und wie zur Bestätigung der Vorwürfe dieses alten Freundes, er sei nichts anderes als die »schwarze Garde, die vor dem Geschäftsunternehmen des weißen Mannes Wache steht«, mußte Adamson Mweta die Briten auffordern, Truppen zu schicken. Wird des ehemaligen Kolonialherren Invasion-auf-Einladung ihn auf seinem Sessel und das Gold und die anderen wertvollen Mineralien in den Händen der britischen und amerikanischen Interessen halten?
Ziemlich kurz; die letzte Kolumne der allgemeinen Rubrik Afrika. Es war Mwetas Gesicht, das sie gesehen hatte – Brays Name tauchte im Mittelteil des Textes auf. Sie las das ganze Ding ein paarmal. Sie ging die Promenade hinunter und wieder herauf, entlang an den Geschäften, und setzte sich wieder an einender Tische, die auf der Straße standen. Andere Leute hatten ihre Zeitungen, sie hatte das Magazin, das neben der Schale mit den Zuckertüten lag. Die Flut kam herein und umspülte die Füße der Vögel. Ein paar Tische weiter beschäftigten sich ein Mann und ein Junge konzentriert mit dem, was der Mann zeichnete. Das Kind hielt seinen Kopf seitlich geneigt, lächelte bewundernd und erwartungsvoll und im Gefühl der eigenen Wichtigkeit – die Zeichnung war ihm wohl versprochen. Der Mann war bereits in den Jahren – einer jener extrem gutaussehenden Männer, die vielleicht schon zum dritten oder vierten Mal verheiratet waren und eine Frau im Alter der eigenen Tochter hatten. Immer wieder hob er den Kopf und blickte unter einer angehobenen und gerunzelten Augenbraue auf irgendeinen Bezugspunkt draußen auf dem Meer. Es war ein sehr dunkles mediterranes Gesicht mit tiefen Furchen in all den schönen flachen Gesichtspartien, so als zeichnete es das Alter mit einem schärferen, dunkleren Bleistift noch einmal nach. Die glänzend schwarzen Augen lagen tief in einer nachdenklichen, ein wenig ironischen Kummerfalte, die auf Enttäuschungen bei wissenschaftlichen Arbeiten schließen ließ – ein Forscher, jemand, der das Leben als ein Muster von Kreisbewegungen in einem Tropfen unter dem Mikroskop ansah. Er war allerdings schäbig gekleidet und sah ärmlich aus. Vielleicht ein Intellektueller, der in Portugal in politische Schwierigkeiten geraten war. Der Junge hing voll Eifer an seinem Arm und behinderte ihn. Schließlich war das Bild fertig, und er hielt es in Armlänge von sich weg gegen das Meer, und der kleine Junge kletterte umständlich von seinem Stuhl, um es genau betrachten zu können. Auch sie konnte es sehen – ein Bild großer Glückseligkeit, vergangener Glückseligkeit, sich kräuselnde Wellen, ein fröhlich beflaggtes Schiff, triumphierender Rauch, in der Luft Spritzer von Vögeln wie Küsse auf einem Brief. Das Kind betrachtete es lächelnd, aber immer noch erwartungsvoll, immer noch auf Ausschau nach –
etwas
, dem geheimnisvollen Wunder, das nur in den Erwartungen der Kinder existiert. Der Mann selbst war es aber, der vor Freude über sein Werk auflachte.Dann nahm der Junge den Fingerzeig auf und lachte eifrig, um in der Übereinstimmung zu bleiben. Das Kind zog noch einmal am Strohhalm in seiner Orangeade, dann überquerte das Paar Hand in Hand den Boulevard; die Zeichnung nahmen sie mit. Der Mann führte das Kind in einer besonderen Art wachsamer Besorgtheit, die ahnen ließ, daß seine Fürsorge eine vorübergehende war oder neu für ihn; ein geschiedener Vater, der das Kind heimlich einer ehemaligen Ehefrau entführt hat. – Aber nein, er war wirklich zu alt, um der Vater zu sein; eher schon der Großvater, der mit dem Kind plötzlich alleine war; sie hatte die starke Empfindung, daß dies
das letzte
im Leben dieses Mannes war, alles, was ihm geblieben war.
Sie waren fort. Zehn Minuten lang hatte sie ein tiefes Interesse für diese beiden Menschen empfunden. Einer der Vögel öffnete seine Flügel – davor hatte sie noch nicht gesehen, daß sie sich gerührt hätten – und flog mit schrägem Schlag über die Bucht hinweg.
Das Flugzeug kam nach Zwischenlandungen
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