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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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nasaler Musik gekauft hatte, mit sich herum. Er hatte das Geld herausgeschmuggelt, weil er sie liebte – auch das wußte sie. Aber es freute sie nicht als Beweis, denn (während sie den Zettel in Untergrundbahnen, in Bussen, auf Parkbänken hervorholte) es bedeutete, daß er für sich akzeptiert hatte, daß sie sich trennen würden, daß es für sie ein Leben ohne ihn geben würde. Und – sie brach den Code weiter auf – das bedeutete, daß er zu dem Zeitpunkt, an dem es geschrieben worden war, glaubte, daß er eines Tages zu Olivia zurückkehren – und nicht, daß er sterben würde.
    In ihrer Vorstellung war Olivia eine leere Parfumflasche, in der sich noch immer die Andeutung eines Duftes hielt. Auf einem der Regale in ihrem Hotelzimmer hatte sie eine gefunden: zurückgelassen von einer namenlosen Engländerin, einer Olivia. Sie kannte niemanden in der Stadt von acht Millionen. Sie hatte mit niemandem etwas gemein; außer mit seiner Frau.
    Manchmal reizte sie der Gedanke, Olivia und seine Töchter aufzusuchen, sehr. Aber die Vorstellung, daß sie sie empfangen würden, in ihrer überlegenen, kultivierten Toleranz akzeptieren würden –
seiner
Toleranz! –, das erfüllte sie mit Widerwillen. Sie wollte ihr Leid nicht verhüllen, sie wollte es leben und es ihnen vor Augen halten, abstoßend und lebendig aus ihr herausgerissen – nicht für andere »akzeptabel« gemacht.
    Sie hatte sich warme Kleider gekauft und sah jetzt, wenn sie herumging, aus wie alle anderen. Nachdem sie sich mit dem irischen Zimmermädchen über die Komplexe Alter, Temperament und den Hang zu bestimmten Krankheiten bei ihrer beider Kinder unterhalten hatte, dachte sie daran, ihre Kinder kommen zu lassen, um mit ihnen vielleicht in London zu leben. Es war weniger ein Plan als ein Tagtraum – die Vorstellung, mit ihnen in den Parks über die Haufen gefallener Blätter zu steigen. Das irische Dienstmädchen war der einzige Mensch, mit dem siesich unterhielt, und das Gespräch wurde in dem Augenblick aufgenommen, in dem die Frau mit ihrem Schlüssel jeden Tag die Tür öffnete, und ging unaufhaltbar weiter, bis ein schließlicher Ausbruch des Staubsaugers die letzten Bemerkungen übertönte. Die Antworten auf die Fragen nach den Kindern entsprachen den Tatsachen, aber wenn von Ehemännern die Rede war, dann war es Bray, von dem sie erzählte, und dann lebte er noch, wartete auf ihre Heimkehr, egal, in welchem Teil Afrikas sie auch immer wohnten. Das Dienstmädchen gab sich mit unpräzisen Angaben zufrieden: Wenn sie Afrika erwähnte, dann sagte sie »da draußen«, und ihr Gesichtsausdruck verriet Anteilnahme. »Ich mußte meinen Job im Männerheim der Universität nach zwölf Jahren aufgeben, weil die Farbigen es miteinander trieben, im Badezimmer – ich hab die Vaselingläser gesehen. Ich bin schnurstracks zum Heimleiter, ich hab ihm gesagt, diese ganzen Farbigen, die die Regierung ins Land läßt, ich bin so was nicht gewöhnt, hab ich gesagt, mein Mann verbietet mir, auch nur noch einen Tag länger zu bleiben –
das
hat mir gerade noch gefehlt, hab ich gesagt, herzlichen Dank.«
    Obwohl sie das halbe Blatt in der Tasche hatte, war da auch noch das, was Bray in der Nacht vor ihrer Abreise aus Gala gesagt hatte. Sie hatte ihm erklärt – wenn auch nicht in aller Klarheit –, das einzige, wovor sie sich fürchte, sei, aus Gala fortgeschickt zu werden, und er hatte geantwortet, ich weiß; aber ich werde auch dasein. Und als sie gesagt hatte, wie können wir denn zusammen fahren – und er hatte gewußt, daß sie dabei an England gedacht hatte –, da hatte er gesagt, vielleicht geht es irgendwie. Er hatte gesagt:
Wir werden beschließen, was wir machen
. (Während sie eines Nachmittags in einem Lokal saß, das sich Ceylon Tea Shop nannte, erinnerte sie sich plötzlich genau daran.) Wir werden beschließen, was wir machen. Vielleicht bedeutete es, daß sie nach Sardinien gehen würden, wo man so gut tauchen konnte. Nein, das nicht wirklich … aber irgendwohin, gemeinsam, woanders als Gala; nie hatten sie woanders als in Gala miteinander gelebt.
    In dem Tea Shop mit vergrößerten Photos von Teeplantagenund der eingerahmten Quizfrage:
Wieviel wissen Sie über Tee?
, die ihr gegenüber an der Wand hing, kam sie wieder auf die Tatsache zurück, daß sie in der letzten Nacht nicht richtig miteinander geschlafen hatten. Sie war es gewesen, die das entschieden hatte, weil sie beide so müde waren und früh aus den Betten mußten. In ihr war er

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