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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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mich, wer sich meine Gartenschere ausgeborgt hat? Weißt du es, Mangaliso? Ich könnte mir vorstellen, daß Mangaliso es weiß, was meinst du, Telema?«
    Wie vom Schlag getroffen, blieben die Kinder stehen. Sie standen da, drehten ihre Füße im Gras hin und her, sahen einander an. Mrs. Harrisons Blicke deckten ebenso die unordentlich weggeworfenen Schuhe und Socken wie den feuchten Fleck zwischen den Beinen des Kleinen auf.
    »Mangaliso!« sagte Joy.
    »Ich werde dir zum Geburtstag eine Gartenschere schenken«, sagte die Frau zum Kind, »aber du mußt mir versprechen, daß du dir meine nicht ausborgst. Ich brauche meine Gartenschere, verstehst du?«
    Er lächelte ihr zu, runzelte die Stirn, flehte darum, nicht mehr im Rampenlicht stehen zu müssen.
    »Du bist ein braver Junge«, sagte Mrs. Harrison. »Mrs. Mweta, ich fürchte, aus dem Souffle des Kochs wird noch ein Pfannkuchen, wenn Sie jetzt nicht zum Lunch hereinkommen. Er ist schon ganz nervös.«
    »Ach du liebe Güte – wie spät ist es denn? Wir haben ein Photo gemacht – Adamson, wir müssen jetzt zum Lunch.« Sie war durcheinander, lachte und hastete herum. Nur unter Protest ließen sich die Kinder wegschicken: Mrs. Harrison stand im Wohnzimmer, machte mit ihren Blicken eine Art privater Bestandsaufnahme, als die Gesellschaft im Gänsemarsch vorbeidefilierte. Dann mußten sie ein paar Minuten lang auf Joy warten, die die Kinder in ihr Zimmer gebracht hatte. Als sie zurückkam, kicherte sie entschuldigend und wandte sich an Bray: »Sie können es nicht verstehen, weshalb wir nicht mehr gemeinsam essen.«
    »Nun, könntet ihr’s ab und zu nicht tun? Wenn ihr allein seid.«
    »Niemals allein!« erklärte sie mit einem Seitenblick auf Small und Asoni und zuckte leicht mit den Schultern. »Auch wenn wir keinen Besuch haben.«
    »Du läßt Mrs. Harrison doch wohl nicht den Haushalt führen?« sagte Bray anklagend.
    Sie lachte ihn an. »Nein, nein, wir haben eine Kusine von mir daheim hier und außerdem die kleine Schwester meiner Schwägerin. Sie sind gekommen, um mir zu helfen. Weißt du, während der Feiern hab ich meine Kinder ein paar Tage lang überhaupt nicht sehen können.« Sie hatte die Stimme gesenkt – vielleicht weil die Atmosphäre des kühlen Eßzimmers, das sie betraten, so sehr im Widerspruch zur lauten Unterhaltung der Familie auf der Terrasse stand. Ihr großer, matronenhafter, aber immer noch jugendlicher Körper bemächtigte sich schicksalsergeben des Stuhls am unteren Ende des Tisches. Gleichsam resignierend setzte sich Mweta an dessen Kopfende, so als nähme er an einem Konferenztisch Platz. Jeder hatte einen Diener hinter sich. Mweta schienihre Anwesenheit gar nicht zu bemerken, aber Joy ertappte den einen oder anderen hie und da bei einer kleinen Unaufmerksamkeit und sagte dann etwas im lokalen Dialekt, halblaut flüsternd. Es gab geräucherten Lachs. Und ein Käse-Soufflé. Und kalte Ente. Während Mweta über die amerikanische Außenpolitik sprach, entfernte er fein säuberlich jedes Restchen der dünnen Aspikschicht, die das Fleisch bedeckte. »Ich sehe überhaupt nicht ein, weshalb es eine Rolle spielen soll, daß Amerika sich in Vietnam überengagiert hat oder daß, wie die von dir erwähnte Autorität behauptet, Amerika am Ende einer nach außen hin orientierten Phase steht und sich nun auf interne Probleme konzentrieren muß, oder daß, wie ein paar meiner Minister meinen, es lernen mußte, daß man Einfluß heute selbst mit Dollars nur sehr schwer erkaufen kann. Sollte sich Amerika zurückziehen wollen« – er hob seine Hände, Handflächen nach oben – »gut, mächtig genug ist es dafür. Wenn es zu den Hungernden sagt, kein Weizen, außer ihr bezahlt dafür, gut, dann tut es das. Und das alte Schreckgespenst, wer dann wohl in dieses Vakuum eindringen wird – nicht mehr interessant. Nur, wir können uns nicht so verhalten. Der einzige Überfluß, den die afrikanischen Länder vorzuweisen haben, ist der an Schulden und Mangel. Wir kämpfen. Wir sind gezwungen, in Südafrika Mais einzukaufen, in diesem Land dies und in jenem Land jenes, wir sind – wie in einem Drei-Bein-Rennen mit Teilnehmern unterschiedlichster Art – aneinandergefesselt. Ständig stolpern wir über die ökonomische Struktur, die aus den Zeiten des Kolonialismus übriggeblieben ist. Natürlich müssen wir einander helfen. Aber das heißt doch wohl noch nicht, daß wir immer die Probleme der anderen verstehen. Das heißt doch nicht, daß ich mir von der

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