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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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er auf ihn; sie hätten sich in irgendeinem Bahnhof in London befinden können. Bray war erstaunt und irgendwie freudig berührt, unter den vielen Gesichtern einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens unversehrt den Freund wiederzufinden. Man brauchte nicht vor dem Porträt des Mannes in der Toga zu stehen und sich zu fragen, das ist also aus ihm geworden? Die Gestalt in der Toga, jener Kultgegenstand auf dem mit Samt ausgeschlagenen Podium, beides war einfach dieser etwas kleingeratene Mann mit dem zurückgeworfenen Kopf, der über all diese Gesichter nach Belieben verfügen konnte. Und er tat es auf haargenau die gleiche Weise, wie er einst auf das Fahrrad gesprungen war, um ins nächste oder übernächste Dorf zu strampeln.
    Aber trotzdem – der Arbeitsraum war bedrückend. Die schweren Vorhänge machten das Licht dunkelbraun wie in einer Kirche. Ein überdimensionaler Schreibtisch mit einem Lederüberzug. Ledersessel. Ein Sofa, das mit einer Art Wollstoff überzogen war, durch den ein Goldfaden lief. Es hätte das Büro eines Firmenchefs sein können; all das war von jemandem eingerichtet worden, der in Mweta nur einen weiteren Boß sah, einen Schwarzen aus einem Dorf, den politische Wechselfälle plötzlich zum Supervorsitzenden der Bergwerksgesellschaften gemacht hatte, und de facto
waren
sie ja auch das Land. Wahrscheinlich war hier tatsächlich jemand am Werk gewesen, der von der Gesellschaft leihweise zur Verfügung gestellt worden war – wer hätte denn sonst schon eine Vorstellung davon haben sollen, in welcher Umgebung und wie man einen Spitzenmann entsprechend präsentierte? An dieser Spekulation war allerdings das feindselige Gefühl schuld, das er gegen dieses Zimmer hegte; vielleicht hatte man es bloß – wie das übrige Haus – so gelassen, wie es ausgesehen hatte, als der Gouverneur auszog.
    Einen Augenblick lang zögerte Mweta vor dem großen Sessel hinter seinem Schreibtisch, ging dann aber weiter. Er fing an,im Zimmer auf und ab zu wandern, so als warteten sie auf noch jemanden. »Ich hätte mir niemals träumen lassen, daß es so lange dauern würde. Tag für Tag wollte ich anrufen und sagen, kommst du her …? Es hat mir keine Ruhe gelassen, ja? Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber es gibt keine halbe Stunde – Tag um Tag –, keine halbe Stunde, die ich gehabt hätte – in der ich nicht irgendwas zu … irgendwen zu sehen hatte …«
    »Aber so muß es ja sein«, sagte Bray vom Sofa her.
    »Ja, ich weiß. Aber wenn du da bist, James …«
    »Egal, wer da ist.«
    »Stimmt vermutlich.« Seine Augen straften den leutseligen, offiziellen Ton seiner Willkommensrede beim Lunch Lügen, der sich immer wieder einschlich.
    Bray sagte: »Du bist der Präsident.«
    »Für dich aber nicht.«
    »O doch.« Bray verwies sich mit Festigkeit selbst an seinen Platz.
    Mweta blickte verlassen drein. Er hatte diese sonderbare Mischung – das lebensbejahende Lächeln und in den Augen das rastlose Flackern des Politikers. »Ich weiß nicht einmal, wo meine Bücher geblieben sind. Wahrscheinlich sind sie noch immer drüben im Freiheitsgebäude.«
    »Ich war Freitag oben, um mir den alten Bau noch einmal anzusehen.« Das schäbige Gebäude jenseits der Hauptstraßen der Stadt, das sie von einem indischen Kaufmann gemietet hatten, hatte der PIP – nach all den Jahren, in denen sie sich nichts außer einem einzigen Hinterzimmer hatten leisten können, als Hauptquartier gedient.
    »Nun, jetzt ist das Parlament das Freiheitsgebäude.« »Selbstverständlich werdet ihr darauf achten, daß der Parteiapparat nicht vor die Hunde geht«, sagte Bray. Aber Mweta hatte die höfliche englische Art nicht vergessen, mit der eine Warnung als Annahme ausgesprochen wurde. Er lachte.
    »Wie denn auch?«
    »Gut, freut mich, das zu hören. Besonders für die ländlichenGebiete. Die Leute könnten das Gefühl haben, die Vorgänge im Parlament seien für sie genauso weit weg wie damals, als es noch nicht
ihre
Regierung war, verstehst du.«
    »Dafür habe ich ja auch die Beamten der lokalen Verwaltungsbehörden. Und ich werde weiterhin mit so viel Leuten wie nur möglich persönlich zusammenkommen. Wenigstens alle paar Monate einmal möchte ich das ganze Land abfahren, aber vorläufig brauche ich noch diesen Burschen … im Freiheitsgebäude sind die Leute einfach zu jeder Tages- und Nachtzeit hereingekommen, um mit mir zu reden, und manchmal, wenn Joy am Morgen aufstand, fand sie schon jemanden, der im Hof saß und

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