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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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hatten den
Mort d’Arthur
, die
Ilias
und Churchills Memoiren in die obersten Borde verbannt, aber Buchclub-Romane und
Das Alexandrinische Quartett
in Taschenbuchausgabe lagen zwischen den landwirtschaftlichen Zeitschriften und Gewehrpatronen, Samenschoten und einer langen Schlangenhaut. – Bray erinnerte sich an George Boxers Frau, dunkelhaarig mit grünen Augen, hübsch, solange ihr Lächeln nicht kleine, fleckige Zähne entblößte. Sie hatten einen Sohn gehabt; er sei gerade in die Militärakademie von Sandhurst eingetreten, sagte Boxer, so als wäre er an etwas erinnert worden, woran er in jüngster Zeit nicht gedacht hatte.
    »Weshalb die Bashi?« fragte Bray. »Hätte nicht gedacht, daß das die richtige Gegend für Rinder ist.«
    »Nein, nein, das ist es ja – es wird eine Menge Unsinn über die niedrige Lage und dergleichen geredet. Ich habe mich mit der ganzen Geschichte zehn Jahre lang intensiv beschäftigt, ich habe Proben von Weideland gesammelt, habe mir Aufzeichnungen über Wasserstellen gemacht, habe alle Arten von Zecken gesammelt, die es im ganzen Land gibt. Und ich gebe Ihnen mein Wort, es gibt hier oben
nicht
weniger durch Zecken übertragene Seuchen als in den Flats, es ist exakt das gleiche Problem, und das natürliche Weideland ist unendlich viel besser. Wenn das mit dem Wasserreservoirprojekt weitergeht – ich meine die Umleitung von Hochwasser –, dann, glaub ich, würde man überhaupt kein zusätzliches Viehfutter brauchen, nicht einmal zwischen August und November, bevor die Regenzeit anfängt. Man könnte sein Weideland das ganze Jahr nützen. Und man hätte mit dem Tränken der Rinder kein Problem. Verstehen Sie, im Augenblick ist es so, daß alles schnell nach Süden abfließt, sobald das Hochwasser zurückgeht.«
    »Aber ich hab gesehen, daß es dort auch während der ganzen Trockenzeit Grundwasser gibt.«
    »Nein, nein, haben Sie nicht. Kein sauberes Wasser. Schlammsuppe, mehr nicht. Man kann nicht den ganzen Winter damit auskommen. Und deshalb haben Sie jedes Jahr wieder die große Wanderung der Rinder, und so hat sich auch die Maul- und Klauenseuche jedesmal verbreitet, wenn sie einmal ausgebrochen war. Sie holen sie sich an der Grenze nach Angola und schleppensie im November bis in die Flats.« Während er redete, trank er unterschiedslos abwechselnd Bier und Tee – sein Problem war der Wasserentzug durch Müdigkeit, die ganze Nacht war er mit seinen Rinderhirten und den Hunden hinter einer Hyäne her gewesen, die während des letzten Monats drei Kälber gerissen hatte. Die graziösen Hunde hatten sie in die Enge getrieben und getötet; nicht einmal ein Fangschuß war nötig gewesen. Sie lagerten im Kreis um ihn und jaulten, wobei sich ihre Filmstarwimpern schlaff über nichtssehende Augen senkten, und waren vor Erschöpfung zu nervös, um sie zu schließen und schlafen zu können. Aber er war in Fahrt, angesichts der Möglichkeit – nicht etwa zu kommunizieren, sondern laut die Taktiken, Erfolge und Rückschläge seiner Kampagne zu entwickeln, wiederzukäuen, die er jahrein, jahraus im stillen Busch geführt hatte, dort, wo, wie die beiden miteinander sich unterhaltenden Männer durch die Fenster sehen konnten, seine Rinder weideten, vereinzelt ästen, stolperten oder – weit weg – eng beieinander zwischen den schlanken Bäumen in einer braunen Flut dahintrieben. Er führte Bray in ein Badezimmer, wo in einem Schrank in etikettierten Aspirinflaschen die Vertreter sämtlicher Zeckenarten des Landes aufbewahrt waren. »Das sind alle, die ich bislang identifizieren konnte …« Er machte diese Einschränkung mit der vom Geiste wissenschaftlicher Objektivität geforderten Bescheidenheit. Viele Zecken waren am Leben, lebten nach Monaten ohne Nahrung und Luft in einem scheintodartigen Zustand. In der nichtbenützten Badewanne zappelten Silberfischchen; Boxer drehte an einer schwer beweglichen, quietschenden Armatur, um sie wegzuspülen. Von den rosa Wänden dieses Labors lösten sich die angeklebten Abbildungen von Seejungfern und Seepferdchen.
    Boxer zeigte keinerlei Interesse oder Neugier für Brays Rückkehr oder seine jetzige Tätigkeit. Aber Bray begriff rasch, daß man aus George Boxers Wissen einigen Nutzen ziehen konnte, wenn man ihn richtig anfaßte. Sinnlos, vorzuschlagen, er solle seine Dienste Mwetas Komitee für landwirtschaftliche Planung anbieten – zwischenmenschlicher Kontakt auf jedweder abstraktenEbene provozierte bei ihm nichts als kühle Ablehnung.

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