Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
Vom Netzwerk:
Fuß anstieß.
    Anstatt an die Tür zu klopfen, ging er außen herum, so als wäre er an einem verlassenen Ort. Er warf einen Blick in eine dunkle, muffige Hütte, die in ihrer Dunkelheit nichts beherbergte als zwei Motorradreifen und einen alten Stahlaktenschrank neben einem Stapel vermodernder Schlafmatten. Als er sich wieder zur Sonne zurückwandte, tauchte ein Mann auf, lang, kleinköpfig, in grauen Flanellhosen und einem Jackett. Er sah aus wie ein Lehrer oder Angestellter aus der Stadt. »Ja?« sagte er unhöflich, ohne näher zu kommen.
    »Ist Edward Shinza hier, wissen Sie das?«
    Der Mann antwortete nicht. Dann kam er näher, um sich Bray genauer anzusehen. »Sie möchten Shinza sehen?«
    »Man hat mir gesagt, er wohnt jetzt hier. Ist er irgendwo in der Nähe?«
    Der Mann stand da, wollte sich nicht drängen lassen. »Ich weiß nicht, ob er da ist.«
    »Könnten Sie vielleicht für mich nachfragen?«
    »Sie möchten ihn sehen.« Der Mann überlegte.
    »Ich bin ein alter Freund.«
    »Das weiß ich nicht. Ich schau, ob er da ist. Einen Augenblick.«
    Der Mann ging ins Haus, aber Bray hatte den Eindruck, daß er es durch einen Hintereingang wieder verließ; er sah jemanden für einen kurzen Moment auftauchen und den Hof überqueren. Bray stand in der Sonne. Die alte Frau bewegte sich nicht. Ein Geruch von Tierhäuten lag in der Luft. Der Mann kam zurück.»Kommen Sie.« Sie gingen ins Haus, in eine Art Empfangszimmer mit einem Wespennest in der Ecke und Hansard-Bänden auf einem Bücherbrett. Der Mann wartete neben ihm schweigend wie eine Leibwache. Sie saßen auf den harten Stühlen und warteten lange Minuten. Der dunkle Kontrast zum Sonnenlicht draußen wurde schwächer. Dann kam Shinza herein, die Hände in den Taschen eines Morgenmantels, barfüßig, nach einer Zigarette tastend. Aber es wäre nicht die erste Zigarette an diesem Tag; der erste Eindruck war nicht der eines Mannes, der gerade aufgestanden war, sondern eines, der überhaupt nicht geschlafen hatte.
     
    »Du hast also beschlossen mich zu besuchen, trotz allem.«
    Edward Shinza – unverwechselbar, lächelnd, die Nasenflügel offen und gespannt. »James … ihr Engländer, ihr tut, was ihr wollt.« Er zog eine Grimasse, in der sich – ins Lächerliche übertrieben – Angst vor den Folgen widerspiegelte.
    Irgendwas war anders (Shinza hatte Brays Hand beiläufig ergriffen, zwischen Daumen und Zeigefinger gleichzeitig eine Streichholzschachtel): es war ein Zahn, ein abgebrochener Schneidezahn – das war’s. Shinza hatte jetzt einen bogenförmig abgebrochenen Schneidezahn, und zwar schon seit so langer Zeit, daß er an der Kante so glatt und rund wie alle anderen war. Er zündete sich die Zigarette an, blickte zu Bray, den Kopf zurückgeworfen, und sagte, wobei er sich noch immer über ihn lustig machte: »Weißt du, es ist schön, dich zu sehen, James, es ist schön, es ist … Ich sollte eine Rede halten, ehrlich, würd ich gern …« Er überging den Morgenmantel demonstrativ, so als wäre das die Art von Kleidung, die er gewählt hatte. Dem Zuschauer befahl er auf gala wegzugehen, in einer Stunde aber wieder dazusein, offensichtlich gleichgültig gegenüber der Tatsache, daß Bray verstehen konnte, was er sagte.
    Als er sich aber wieder zu Bray umwandte und auf englisch sagte – die Bemerkung war eine freie Wiedergabe eines Slogans, den Mweta vor großen Versammlungen verwendete –: »Also, duwillst beim Aufbau einer neuen Nation helfen, ja …«, da dachte Bray, er habe ihn absichtlich wissen lassen, daß er erwartete, ihn in einer Stunde loszusein – wie jeden beliebigen anderen Gast.
    »Warst du es nicht, der ihm beigebracht hat, wie man Reden verfaßt?«
    Für einen Gala war Shinzas Hautfarbe hell; er rieb zärtlich seine gelbbraune Brust, wo der Morgenmantel auseinanderfiel. Ein paar Pfefferkörner um die Brustwarzen herum, ähnlich den Haarbüscheln, die seiner Gesichtshaut eine eigene Struktur gaben und aus der Oberfläche sproßten, die pockennarbig und von den Kratern einer lang zurückliegenden Hautkrankheit – Pocken im Kindesalter oder Halbwüchsigen-Akne – überzogen war. Dieser Stechginster lief oberhalb der gewölbten Lippen zusammen und bildete die Andeutung eines Schnurrbartes. Er betonte das Lächeln unter den großen, gespannten Nasenflügeln. »Ein guter Lehrer. Aber ich hab ihm nicht beigebracht, wie man Leuten das Maul stopft. Das hat er selbst gelernt. Oder vielleicht helfen ihm andere dabei; ich weiß nicht.«

Weitere Kostenlose Bücher