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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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alleine lebte, begann man sich selbst zu wichtig zu nehmen – hatte zur Folge, daß er seine Pläne so einrichtete, daß die Bashi Flats – Shinzas Gebiet – in ihnen berücksichtigt waren. Eines Morgens brach er mit der Absicht auf, in die Berge zu fahren, eine Strecke, auf der die Eisenerzmine lag, und sich dafür eine Woche Zeit zu nehmen. Er erinnerte sich daran, daß Shinza gerne Stumpen rauchte, und schaute bei seiner Abfahrt aus Gala im
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vorbei. Als er die Bürotür öffnete, stand eine junge weiße Frau vor ihm, die sie gerade von der anderen Seite her hatte aufmachen wollen, die Handflächen in der Höhe ihrer Brüste gegen ihn erhoben. Er lächelte höflich und sah dann, daß sie ihn kannte. Es war Rebecca Edwards aus ViviensHaus in der Hauptstadt. Während er alles auf der Suche nach den Zigarren auf den Kopf stellte, erklärte sie, sie sei heraufgekommen, um für Aleke zu arbeiten. »Roly sagte, er habe es Ihnen geschrieben, also bat ich Vivien, sich nicht die Mühe zu machen.« Natürlich hatte da was in Dandos Brief gestanden – ein unleserlicher Name. »Hätte ich für Sie irgend etwas tun können?«
    »O nein – Sie wissen, wie die da unten sind. Der ganze Apparat muß immer gleich rebellisch gemacht werden, wenn irgend jemand umzieht.«
    Er hinterließ für Aleke einen Gruß. »Er wird triumphieren. Die ganze Zeit droht er schon damit, daß er das Ministerium stürmt und eine Sekretärin davonschleppt.«
    »Ich bin ganz still und leise gekommen«, sagte das Mädchen und setzte ihr Kameradenlächeln auf.
    In der Nacht hatte es geregnet, und über dem Elefantengras lag eine Matte aus glitzerndem Tau. Er konnte hören, wie seine Reifen in den feuchten Packsand der Straße die erste Spur zogen; sein abgestumpfter Geruchssinn erwachte wieder zu neuem Leben, zu etwas wie dem feinnervigen Riechorgan eines Tieres. Bambus, Felsen, Flechten – sie hoben sich von ihrer Umgebung ab, frisch wie eine mit Wasser übergossene Felsmalerei. Etwa zehn Meilen hinter Gala nahm er einen jungen Mann mit, der, einen Pappkartonkoffer in der Hand, die Straße entlangstapfte. Hier und da waren andere Leute auf der Straße, die querfeldein durch Wald und Gras gingen, ganz im Alltagstrott – so wie sich Verkäufer und Kauflustige in den Straßen einer Stadt bewegen. Dieser Mann aber, in seinen Hemdsärmeln und den neuen, lehmbespritzten Schuhen, hatte, das war auf den ersten Blick zu sehen, damit nichts zu tun: Bray hielt etwas vor ihm an, und er stieg wortlos in den Wagen. »Ich will zur Mine – diese Richtung. Wie weit wollen Sie?« »Ist schon recht so.«
    Die Anwesenheit des anderen im Wagen veränderte die Stimmung dieses Morgens: das sinnliche Vergnügen daran ging verloren. Diesem angespannten Geschöpf galten die Sonnenstrahlen nichts, sie waren leer: Der Mann atmete ruhig, dann und wannschlossen sich seine Lippen um Unausgesprochenes mit einem kleinen Geräusch, und aus den Augenwinkeln sah Bray die sich langsam senkenden, aufgebogenen Wimpern und eine Linie, die Krankheit oder Überanstrengung in die rauhe Wange gezogen hatten. Seine Hose war sehr sauber und hatte die Falten eines in einem Koffer eng zusammengelegten Kleidungsstückes. Einmal nahm er den Kugelschreiber aus der Brusttasche seines Hemdes und ließ die Spitze in einer wunderschönen, mattschwarzen Hand ein- und ausklicken.
    Bray wußte nicht, ob der junge Mann nur wegen der Nähe zu einem Weißen gelähmt war – so oft machten die alten Abhängigkeiten, die unausgesprochenen Vorurteile, der böse Zauber, unter dem selbst die alltäglichste Begegnung so lange Zeit gestanden hatte, sprachlos – oder ob er einfach nicht reden und nicht angeredet werden wollte. Seine Gegenwart war jedenfalls außerordentlich bedrückend. Bray versuchte es mit Gala; der Mann sagte ohne Interesse: »Ich fahre nach Hause zurück.« Wie lange er denn in der Stadt gewesen sei? »Zwei Monate und siebzehn Tage.« Bray wollte kein Verhör anstellen; der Mann nahm eine Zigarette an, und Bray ließ sich von der Bewegung des Wagens und der an ihnen vorüberziehenden Straße einlullen.
    Die Eisenerzmine war eine purpurrote Wunde im untersten Ausläufer der Paßhöhe. Ein gleichfarbiger, burgähnlicher Sandberg war neben ihr aufgeschüttet worden, bar der grünen Decke aus Busch und Gras, unter der sich diese blutrote Erde auf den Hügelkuppen verbarg. Eine neue Straße führte zu ihr; auf einem nahe gelegenen Abhang zog sich eine Siedlung hin, und da und dort waren ein paar

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