Der Ehrengast
Mal anhielt, um zu übernachten, bestand er darauf, im Wagen zu schlafen, und hielt sich von den Dorfbewohnern fern. Seine Schuhe waren jetzt grau von eingetrocknetem Lehm und hatten sich der Form seiner Füße angepaßt, und wenn er seine Arme bewegte, dann strömte eine starke, bittere Wolke aus Schweiß in den Wagen. Aber es war, als ob all das, was bis jetzt in ihm eingesperrt gewesen war, entflohen war wie eine harmlose Wolke. Der Gestank war gar nichts; jene dunkle, entpersönlichte Leere war zu einem müden, verdreckten Körper geworden, der eine lange Wegstrecke zurückgelegt hatte. Am dritten Tag bat er Bray plötzlich anzuhalten; Bray dachte, er wolle sich erleichtern, aber nachdem er für ein, zwei Augenblicke unter den Bäumen verschwunden war, kam er zurück und sagte: »Ich bleibe hier, Sir.« In der Nähe hatten Köhler ihr Lager.
Bray verbrachte zwei weitere Tage damit, kreuz und quer durch das höher gelegene Gebiet der Flats zu fahren, von Dorf zu Dorf, auf unbefestigten Pisten. Immer wieder fiel das Auspuffrohr herunter und wurde in jedem Dorf von neuem und auf immer neue Weise repariert. Am Morgen des sechsten Tages wurde der Volkswagen von einer Fähre über den Fluß gesetzt, und die ruhige Bewegung nach dem ständigen Rattern war eine Art Omen: Shinza war auf der anderen Seite. In dem lichten, sandigen Wald nahm er eine Bewegung wahr, die er aus der Entfernung äsendem Wild zuschrieb; es waren Frauen, die saure wilde Früchte sammelten, und sie drehten sich um, um zu lachen und zu schwatzen, als er an ihnen vorbeifuhr.
Der Wald hörte auf; der Busch hörte auf; der kleine Wagen befand sich plötzlich vor einem weiten Raum aus fließendem Gras und glitzerndem Wasser, vor dem der Horizont weiter in die Ferne zurückwich. Hier hatte er immer das Gefühl gehabt, ersähe plötzlich alles wie ein Vogel, der ständig höher und höher stieg und in dessen Steigen der Kreis des Horizonts immer größer wurde. Einen Augenblick lang nahm er seine Brille ab, und der schimmernde und schwankende Erdkreis wich schlagartig noch weiter vor ihm zurück.
Die Tupfen und Flecken heißen, blauen Wassers hoben sich dunkel vom endlosen Bett aus sanftem Grasland ab. Kleine Vögel flitzten wie Heuschrecken von den federbuschartigen Halmspitzen. Ein Geruch von Raum lag hier in der Luft. Tausende von Rinderköpfen in dieser Ebene; aber es waren vereinzelte Einsprengsel, nicht größer als George Boxers Zecken im Gras. Die Straße war schrecklich; der Gewaltakt dieser Fahrt durch die heitere Stille war nur mit der Erschütterung eines Flugzeuges zu vergleichen, das in einem klaren Himmel den überraschenden Schlägen von Luftlöchern ausgesetzt ist. Hirten standen reglos und nachdenklich da und beobachteten ihn, wie er mit Spurrinnen fertig zu werden versuchte, die von querverlaufenden Schleifspuren von Schlitten durchpflügt waren, auf denen man das Holz zog. Ilalapalmen tauchten aus dem Gras auf, die scharfen Blätter starr wie ein Klappmesser mit vielen Klingen. Während er auf seinem Weg durch die Vergangenheit weiter vorantastete, fuhr er, ohne an Kreuzungen lange zu zögern, auf Shinzas Dorf zu. Eine neue Generation nackter Kinder trieb sich in Gruppen im Umkreis der Häuser herum, die eine Mischung aus traditionellen Materialien wie Lehm und Gras und den Ziegeln und dem Wellblech europäischer Siedlungen darstellten. Ein paar Kinder spielten mit einer altertümlichen Wäschemangel aus der Zeit von Königin Viktoria; belgische Missionare aus dem Kongo und deutsche aus Tanganjika waren während des ganzen letzten Jahrzehnts des neunzehnten Jahrhunderts durch dieses Gras gewatet und hatten Alt-Europa zwischen diese langhörnigen Rinder gebracht.
Shinza wohnte jetzt (hatte man ihm gesagt) in mehreren Hütten, die durch eine Schilfwand wie die Wohnstätte eines Häuptlings abgetrennt waren – und es stellte sich heraus, daß es in der Tat ein Teil des Quartiers von Häuptling Mpana war.Dahinter befanden sich verschiedene einzelne Lehmhütten und ein häßliches Backsteinhaus mit einer Veranda, die aus Pfählen und einem Strohdach bestand, verschnörkelte Schutzgitter vor den Fenstern, wie man sie an den europäischen Häusern in den Außenbezirken der Hauptstadt sah. Dort drinnen waren keine Kinder. Es herrschte tiefe Stille. Eine alte Frau lag auf der Seite in der Sonne, ganz mit Wolldecken zugedeckt, die nur die Füße freiließen. Bray hatte das Gefühl, daß sie tot zur Seite rollen würde, wenn er sie mit dem
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