Der Ehrengast
Lebensstandard anhebt? Und in Kommunen wie dieser hier, wo die Leute die Umstellung auf eine Geldwirtschaft und darauf, daß sie sich die Dinge des täglichen Bedarfs jetzt in den Warenhäusern holen müssen, noch nicht gänzlich verkraftet haben, werdet ihr die Dorftischler und Dorfschuster noch lange, lange Zeit brauchen. Wenn wir die Menschen auf handwerklichem Gebiet so ausbilden können, daß sie in der Lage sind, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, dann haben wir wenigstens etwas als Alternative zur Stadtflucht anzubieten. Das ist eine bessere Idee als Arbeitslager, hm?« Bray sah, daß Malemba erleichtert war, wenn dieser Vorschlag von ihm käme; Malemba selbst hielt die Schließung ländlicher Handwerksbetriebe durch die Regierung für unrealistisch, aber er wollte nicht, daß man ihn in den pädagogischen Kreisen der Hauptstadt für einen rückständigen Provinzler hielt, wenn es um die Forderung nach einer besserenAusbildung des Volkes ging. Malemba war kein Kriecher, aber er brauchte etwas, das seinem Glauben ein wenig Rückhalt gab; es war eine der kleinen Befriedigungen von Brays Arbeit, daß Malemba anfing, dieses Vertrauen zu haben.
Dennoch sagte er zu Aleke: »Ich möchte dieser Tage einmal bei Edward Shinza vorbeischauen.« Er befand sich in Alekes Haus – seinem eigenen ehemaligen Haus –, es war ein Samstagnachmittag: Im Gegensatz zu früher, als Beamtentum und weiße Hautfarbe eins gewesen waren, wurden jetzt zwischen den Vertretern der Behörde keine Einladungen zu Drinks und Abendessen mehr ausgetauscht. Aber Aleke hatte gesagt: »Warum kommen Sie nicht zu mir herüber ins Haus?«, und hatte so deutlich zu verstehen gegeben, daß Bray jederzeit willkommen sei, daß dieser die Einladung wörtlich genommen hatte und einfach immer wieder hinging. Wie immer spielte auf der Veranda laut aufgedreht das Radio. Ein paar der sieben Kinder schoben Spielzeugautos durch die Fahrrinnen, die sie in die Erde der Bottiche gekratzt hatten, in denen Olivia einstmals Miniaturorangenbäume gezogen hatte.
»Die Straße dahin ist in einem sehr schlechten Zustand, heißt es«, sagte Aleke träge, wenn auch nicht ganz ohne Interesse.
Bray begriff, daß er die Sache angesprochen hatte, weil es ihm, obwohl er aus seinem Besuch bei Shinza keinerlei Geheimnis zu machen beabsichtigte, im Gegenteil, er würde Mweta persönlich davon in Kenntnis setzen – ja, Mweta würde de facto von ihm erwarten, daß er ihn ausfindig machte –, aus Gründen der Vorsicht irgendwie gegen den Strich ging, daß Aleke vielleicht über seinen Besuch bei Shinza Bericht erstatten könnte. Es sollte ein für allemal klargestellt werden, daß das niemanden etwas anging außer ihn selbst.
Alekes Frau brachte Tee und wurde um Bier zurückgeschickt; sie versuchte die Kinder von der Veranda zu vertreiben, aber Aleke war einer jener fetten, muskulösen Männer, deren – offenbar Fleisch gewordenes – Selbstvertrauen bei Frauen und Kindern Berührungslust auslöst. Seine kleinen Söhne und Töchter kamen zurückgelaufen, um sich gegen seine runden, weit auseinandergestelltenOberschenkel zu drücken. Er sprach von seiner Frau, als wäre sie gar nicht zugegen. »Sie ist eine Frau, die es nicht schafft, daß die Kinder ihr zuhören. Mit den Hühnern ist es das gleiche. Sie jagt sie in die eine Richtung, und sie laufen in die andere.«
»Sie sind ungezogen.« Sie blickte hilflos auf die Kinder.
»Wir haben auf die Stimme
meiner
Mutter immer gehört.« Er hätschelte die Kinder; für ihn war es leicht. Wenn er genug hatte, würde er sie wie Kletten von sich herunterzupfen. Sie sagte zu Bray: »Und Ihre Frau kommt auch her? Dieser Ort ist tot. Die Geschäfte haben nichts. Ehrlich, ich wollte, ich könnte weg in die Stadt.«
Aber wie ihre Kinder zog es sie zu ihrem Mann hin, auch wenn sie ihn nicht direkt berührte. Er scheuchte sie alle von sich, mühelos, mit einer Geste, die etwas Befehlendes hatte.
Bray empfand ein kleines nagendes Schuldgefühl, weil er einen Augenblick Aleke gegenüber vorsichtig gewesen war. Warum sollte Aleke ihn in den Begriffen der Politik sehen? Daß er Mweta sagte, was er dachte, war eine Sache; alles, was vielleicht als politische Aktion ausgelegt werden mochte, eine andere – und das war etwas, womit er schon seit seiner Ankunft hier nichts zu tun haben wollte. Dieses Desinteresse wurde durch das Recht, einen alten Freund zu besuchen – egal, wer das war –, nur bestärkt.
Das Unbehagen – wenn man
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