Der Ehrengast
Figuren hingesetzt, die sich ein wenig bewegten. Als der Wagen näher kam, entpuppten sie sich als die dämonischen Erscheinungen von Bergwerksarbeitern – wohin man sah, behelmte Gesichter mit geisterhaften Streifen aus Schmutz darin, lehmbeschmierte Gummistiefel – der klamme Anblick von Männern, die täglich aus dem Grab zurückkehren.
»Ich werde jemanden besuchen, der drei Meilen weiter wohnt …«
»Ja, Sir.«
Bray hatte gedacht, er würde bei der Mine aussteigen; so hatte er es jedenfalls verstanden – aber es spielte keine Rolle. »Wenn wir in der Nähe Ihres Dorfes sind, dann sagen Sie’s einfach.« Der junge Mann winkte mit schwerer Hand ab, wie um damit die Unendlichkeit einer Entfernung anzudeuten, oder Gleichgültigkeit. Sie fuhren zur Rinderfarm, die vor fünfzehn Jahren, als sich George Boxer dort niedergelassen hatte, noch abgelegen gewesen war. Nun gab es dort eine Mine und Telegrafendrähte, die über den Hügel führten. Boxer war immer noch da, trug immer noch makellos geputzte Ledergamaschen und wurde von drei Afghanen bewacht, die unter ihrem verfilzten, lockigen Fell mager und wild aussahen. Boxer war einer jener Männer, deren Beziehung zur Welt einzig und allein im Kampf mit der Natur besteht. Das Treiben der Menschen beschäftigte ihn nicht. Die Menschen selbst, ob nun weiß oder schwarz, waren für ihn nur insofern real, als sie mit ihm in diesen Kampf verwickelt waren. Ob der Mann, der mit ihm nach einem verlorenen Kalb suchte oder gemeinsam mit ihm einen Zaun reparierte, schwarz oder weiß war, war nicht von Bedeutung: die Situation war die von zwei Männern, die sich im Kriegszustand mit einem morschen Zaunpfahl oder dem reißenden Leoparden befanden, der ebenfalls hinter dem Kalb her war. Er hatte sich nicht am Gezeter und Geschrei, das die Siedler vor zehn Jahren gegen Bray angestimmt hatten, beteiligt, und aus dem gleichen Grund hatte er sich ihrem Exodus, der auf die Unabhängigkeit folgte, nicht angeschlossen. Es war nicht so, daß ihm das Rassenproblem gleichgültig gewesen wäre – er pflegte einfach keinen Verkehr mit Menschen welcher Hautfarbe auch immer. Umstände – damals Brays Umstände – hatten Boxer wie einen Freund erscheinen lassen, und zwar bloß aus dem Grund, weil er zu gleichgültig für Feindschaft war, aber Bray hatte immer gewußt, daß dieser Eindruck auf seine Weise nicht mehr bedeutete als jener andere, physische Eindruck, den Boxer machte – er trug die Kleider, hielt an den Manieren und häuslichen Gepflogenheiten seinerPrivatschulvergangenheit fest, nicht als Zeichen seines Platzes in einer hochentwickelten Gesellschaft, sondern als wären sie die Kennzeichen und Gefiederzeichnung, das Verhaltensmuster, mit denen er, ohne sich dessen bewußt zu sein, auf die Welt gekommen war (wie ein Hase oder ein Schakal).
Bray wurde vom Haus zu einem der Rinderpferche gewiesen – dort würde er Boxer finden. Während sie sich, den Blick auf Boxers zwei prächtige, von ihm selbst gezüchtete Bullen, miteinander unterhielten, vergaß Bray seinen Mitfahrer im Wagen. Boxer führte Bray am Wagen vorbei zum Haus hinauf: »Da ist jemand, den ich mitgenommen habe.« Boxer warf einen Blick auf den Fahrgast und beendete mit einer wegwerfenden Handbewegung die Pause: »Ich werde ihm was herunterbringen lassen. Sie bleiben selbstverständlich zum Lunch.« Aber Bray beharrte, er könne nicht länger bleiben als auf eine Tasse Tee oder einen Drink. Sie betraten das kombinierte Wohn-Arbeits-Zimmer, dessen Wände von Boxer mit dem hiesigen Mahagoniholz verkleidet worden waren; es erinnerte entfernt an das Studierzimmer eines Lehrers, obwohl sich die Nachschlagewerke auf die Landwirtschaft beschränkten. Das Teetablett hatte eine Silbergravur, das geerbte Mobiliar war im Raum so angeordnet, wie es Bray noch in Erinnerung hatte. Sie sprachen über die Mine. »Irgendwelche Chancen, daß Sie auf Ihrem Besitz fündig werden? Sie haben doch vermutlich Schürfproben machen lassen?« Boxer holte aus einer Vitrine voll Mattglaskaraffen eine Dose Bier. »Deshalb brauch ich mir keine Sorgen zu machen. Nichts da. Jeden Zentimeter hat die Gesellschaft abgesucht. Früher einmal, da hatte ich alles ganz genau geplant – man würde da auf eine Ader stoßen; soundso viel würde dabei für mich herausschauen; die zwanzigtausend Morgen, die ich unten in den Bashi Flats kaufen wollte. Hat mich viele Nächte lang bei Laune gehalten. Oder zumindest wach.«
Die Bücher über die Rinderzucht
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