Der Ehrengast
Lehmhütte mit Strohdach.
»Das Bier, das sie braut, ist nicht so übel«, sagte er, als er ihn einer jungen Frau vorstellte, die sich hinter dem schmutzigen Vorhang verdrückte, der das Haus in zwei Räume teilte. Er rief ihr nach, und schon war sie sauber gekleidet wieder da und versuchte hoppelnd in ihre Schuhe hineinzukommen. »Sie hat gerade ein Baby gekriegt«, sagte er auf gala. »Wo ist dein Sohn, Talisa, zeig deinen Sohn her«, und sie lachte und antwortete so, wie man vor einem Fremden eine spaßhafte Unterhaltung führt: »Warum kannst du ihn denn nicht schlafen lassen, warum mußt du ihn die ganze Zeit anschauen?«
»Du bist eifersüchtig. Ich hab eine Menge Kinder, eins mehr spielt da für mich keine Rolle. – Es ist ihr erstes«, sagte er zu Bray und trat hinter den Vorhang, wo es dann Gelächter und Zank gab, und kam wieder hervor, zog den Morgenmantel mit einer Hand straff, kniff seine Augen zu einem Schlitz zusammen, weil er den Zigarettenrauch in die Höhe blies, um ihn vom Baby fernzuhalten, das nur ein kleines Westchen anhatte, und das er in der anderen Hand hielt. Es war rosigbraun, fast durchsichtig, hatte winzige, sich leicht bewegende Hände und Beine und ein Gesicht von der Größe einer Taschenuhr, dessen Augen geschlossen waren. Das Mädchen nahm Shinza die Zigarette aus dem Mund, während sie das Baby ansah, und mit dem Zeigefinger seiner anderen Hand fuhr er zart über die Windungen seines Ohrs, dessen Ränder noch immer wie im Mutterleib zusammengedrückt waren. Es pinkelte in einem schwachen kleinen Bogen – der Spritzer irgendeines kleinen Meerestieres, das in seiner Schale aufgestört worden war. Shinza lachte, machte ein paar liederliche Bemerkungen und warf das Kind beinahe zur Mutter hinüber, die fröhlich erregt und verlegen war und es hinter den Vorhang zurücktrug, wo es in überraschend kräftige Schreie ausbrach,die mit dem Gelächter seines Vaters wetteiferten. Er ging herum und suchte ein Tuch. In der Lehmhütte lag der kühle Babymief, es roch nach Bier und verbranntem Holz. Kleider lagen herum, Kochtöpfe, Zeitungen, ein Radio und ein nagelneuer Kinderwagen von der Art, wie man sie in europäischen Parks sieht, standen da – die anständige Unordnung der Intimität. Auf einem Schrankkoffer mit Klebeetiketten der Docks von Southampton, San Francisco und New York (Shinza gehörte zu jener Generation, die Stipendien für das Studium an amerikanischen Universitäten bekommen hatte; Mweta war dafür zu spät zur Welt gekommen und ging unmittelbar nach der Schule in die Politik) lag ein Spitzendeckchen, auf dem ein ausgefallenes Kaffeeservice stand. Shinza schnappte sich irgendein Kleidungsstück, um sich die Brust abzureiben, und warf den Fetzen anschließend in einen Winkel. Ein Küchentisch mit einer alten Schreibmaschine darauf diente als Schreibtisch. Ein Karton stand da, in dem Bücher durcheinanderlagen; dahinter der einzige Wandschmuck, eine Fußballmannschaft – Nkrumah, der schielende Fanon, das Maskottchen Selassie, Guevara und unter anderen Gesichtern eines, das Shinza selbst gehörte: ein Treffen afro-asiatischer Länder in Kairo, Anfang der sechziger Jahre. Shinza bemerkte, daß Bray es ansah, und sagte: »Gaunergalerie.« Er rauchte eine der Zigarren; er hatte, hier, in diesem Lehmzelt aufgepflanzt, die Autorität eines Feldherren.
Sie tranken das selbstgebraute Bier und redeten zerstreut über Politik im allgemeinen, denn Shinza wurde zweimal hinausgerufen (wie Pferde standen draußen in der Sonne Männer, warteten und traten zur Seite, um mit ihm zu sprechen), und außerdem war das Mädchen mit dem Baby in der Nähe. Nichts davon störte das Gespräch, nicht weil Shinza Bray seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, sondern weil alles, was zwischen ihnen an Worten gewechselt wurde, für Shinza nur von peripherem Interesse war.
Als Shinza zum zweiten Mal zur Hütte zurückkehrte, stoppte ihn Bray am Eingang: »Wie weit ist es mit dem Jungen gegangen?«
Shinza warf seinen Kopf wie in einer Pantomime zurück und blinzelte. »Was?«
»›Fragen‹, hast du gesagt. Genug ›Fragen‹?«
Shinza behielt die kalte Zigarre im Mund. »Ach, du weißt doch, worauf Fragen hinauslaufen, James.«
»Tu ich das?«
»Und schließlich und endlich, Mweta ist dein Mann, du hast bestimmte Vorstellungen von ihm, von uns …«
Bray wurde steif angesichts dieser Gleichgültigkeit, wie Fleisch, das sich in einer kühlen Brise zusammenzieht.
»Fragen müssen beantwortet
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