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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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sich ihm eine andere Bedeutung der Redewendung, die vorhin beiläufig gefallen war. »Du hast gerade etwas gesagt – was, genau, hast du gemeint?«
    Shinza strich sich den Hals unter seinem unrasierten, hochgereckten Kinn, er lächelte, lieh ihm ein Ohr. Er richtete sich auf und lächelte Bray zu. Dann verschwand aller Ausdruck aus seinem Gesicht. Er sagte: »Ach, Buschgeschichten, wie der Junge, den du im Wagen hattest.«
    »Der Junge? Der, den ich mitgenommen habe?«
    Shinza hielt den Augenblick in der Schwebe, beobachtete bloß, ohne großes Interesse, aus einer inneren Distanz.
    Bray wurde bestürmt von widerstreitenden Gedanken;
hatte
er Shinza gegenüber den Jungen erwähnt? Und indem ihm plötzlich die Idiotie all dessen zu Bewußtsein kam, sagte er: »Aber er hat ja selbst den Mund kaum aufgemacht.«
    »Ja, das Maul stopfen. Man hat ihm ein Schloß vorgehängt.« Shinza lächelte vielsagend über sein schlaues Wortspiel.
    Zwei Monate und siebzehn Tage.
    Wahrscheinlich gerade aus dem Kittchen.
    »Wo?«
    »Oh, in Gala natürlich. Du kennst doch den Chef der Distriktpolizei, Lebaliso. Und den Chef der Provinzverwaltung, Aleke. Natürlich kennst du sie.«
    »Wie lautete die Anklage?«
    »Anklage? Welche Anklage? Keine Anklage; kein Prozeß. Einfach eingebuchtet.«
    »Und was hat er angestellt?«
    »In der Fischmehlfabrik gearbeitet.«
    Bray machte eine plötzliche, unkontrollierte Bewegung, um Shinzas Aufmerksamkeit zu erregen – und Shinza gab ruhig nach: »Redete mit den anderen Burschen über Bezahlung und Arbeitsbedingungen und so weiter. Hat irgendwas darüber gesagt, wie die Fischkonzessionen der Gesellschaft aussehen. Zu dem Zeitpunkt, als die Regierung die Konzessionen um weitere fünf Jahre verlängert hatte – du weißt schon …«
    Mwetas Minister hatte den Vertrag mit der britisch-belgischen Fischereigesellschaft unter Bedingungen erneuert, aufgrund derer ein Teil der Aktien an die Regierung überschrieben wurde, während die Löhne für die Arbeiter unverändert so blieben, wie sie unter der Kolonialherrschaft gewesen waren.
    Bray saß unbeholfen, nach vorn geneigt da, seine Hände lose zwischen den Knien.
    Shinza steckte sich wieder eine Zigarette in den Mund, redete an ihr vorbei und stand schließlich auf, um in die Tasche desMorgenmantels zu fahren und die Streichhölzer herauszuholen. »In der Siedlung unten wurden ein paar kleine Versammlungen abgehalten – die Männer aus der Fabrik und Burschen aus dem Kalkwerk. Das hat dem Gewerkschaftsmann nicht gepaßt, und es hat den Jungpionieren nicht gepaßt.«
    »Sie haben den Jungen verhaftet?«
    »Nennt man wohl so. Sie nahmen ihn mit und sperrten ihn ein; sie hatten ihm eine ganze Menge Fragen zu stellen, brauchten etwa zwei Monate, und nun hast du ihn im Auto mit nach Hause genommen.« Shinza brachte die Geschichte abrupt zu Ende wie ein Märchen, das man einem Kind erzählt.
    »Über zwei Monate.« Das war ungefähr in der Zeit gewesen, als er in Gala angekommen war. »Hab nie was davon gehört.«
    »Nein«, sagte Shinza und unterdrückte ein Gähnen, »nicht ein Wort. Von Lebaliso? Von Aleke?«
    »Wer würde für einen solchen Befehl verantwortlich zeichnen? Wer unterschreibt? Es gibt in diesem Land derzeit kein Gesetz für Präventivhaft.«
    »Naja, es gibt die Tradition, aus den alten Kolonialzeiten.« Er hatte mehr und mehr das Gefühl, Shinza wolle die Unterhaltung beenden.
    »Aber wessen Befehle?«
    Shinza sagte höflich, gelangweilt: »Lebaliso, Aleke.«
    »Ich würd gern mit dem Jungen reden.«
    »Er hat genug ›Fragen‹ hinter sich«, sagte Shinza.
    »Möglicherweise weiß Mweta nichts davon«, sagte Bray.
    Shinza lachte. Bray stand da; er wußte nicht, wohin mit sich, hörte seine eigenen Schuhe quietschen. Shinza hatte seine Beine unter dem Morgenmantel ausgestreckt, in seinen Augen ein Ausdruck überdrüssiger, amüsierter Sympathie. Bray sagte: »Die darf ich nicht wieder mitnehmen«; er legte die Schachtel mit den Zigarillos auf die Wäsche. »Deine alte Marke.«
    Shinza stand auf, die Situation lag jetzt ganz und gar in seiner Hand. »Mein Gott, Mann, wie ich diese Dinger liebe. In letzter Zeit rauche ich diese verdammten Zigaretten, jemand schafft siefür mich herein. Kannst du mir noch welche davon besorgen, James? Ich hätte gern eine Kiste, laß sie sie mir aus England kommen, hm?« Als sein Gehilfe hereinkam, ignorierte er ihn und schlenderte mit Bray durch eine Küche und aus dem Haus hinaus zu einem anderen, einer

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