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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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während er seine Handfläche wie auf eine Trophäe auf den Oberkörper des Jungen legte. Voll Freude über den Beweis dafür, daß er recht gehabt hatte, sagte er: »Der gute alte James, immer noch derselbe.«
    Bray sagte auf gala: »Warum richtet er sich denn nicht auf …«, und so als wäre er an etwas Nebensächliches erinnert worden, gab Shinza dem Oberkörper einen freundlichen Klaps und sagte auf englisch: »Okay. Das ist alles.«
    Der Junge stopfte sein Hemd in die kurzen Hosen. Bray wollte etwas zu ihm sagen, aber als er ihn ansah, blickte der Junge augenblicklich starr auf Shinza.
    »Also dann«, sagte Bray, »was hatte er denn zu verschweigen, daß er das in Kauf nahm?«
    »James, James. Kaum bist du wieder hier, siehst du schon hinter jedem Busch einen Helden. Er hat ihnen alles gesagt, was er wußte, sobald sie ihn geschnappt hatten. Auf der Stelle. Ohne auch nur einen Kratzer. Aber sie hatten ein paar Fragen, auf die er keine Antworten wußte. Das ist eine Methode; wenn einer nichtreden will, ganz egal, aus welchem Grund, und keiner erwartet von dir, daß du weißt, warum – dann gib’s ihm. Ist Routine.«
    »Das ist bekannt. Es passiert natürlich überall auf der Welt. Aber in welchen Gegenden.«
    Shinza sagte: »In dieser Gegend hier, James.« Und er stieß ein kurzes Lachen aus und sagte: »Ja?«
    Bray sagte: »Es ist immer noch möglich, daß Mweta nichts weiß.«
    Shinza betrachtete es wie eine rein akademische Frage. »Nichts von dem da, nein – jeden kleinen Vorfall im Auge behalten, das kann niemand erwarten.« Und zum Jungen: »In Ordnung.«
    Der Junge sah Bray schließlich doch an und verabschiedete sich von ihm mit der höflichen Grußformel der Gala. Shinza rief ihn zurück und warf ihm ein Päckchen Zigaretten zu, das er wegen der Zigarren zur Seite gelegt hatte. Der Junge nahm sie wortlos und ging.
    Bray sagte: »Wir sollten einen schriftlichen Bericht aufsetzen. Einen Bericht darüber, was er vor uns beiden ausgesagt hat.«
    Shinza sah ihn beinahe liebevoll an. »Die Zeiten sind vorbei.«
    »Du gibst zu leicht auf, Shinza.« Mit gespielter Fügsamkeit akzeptierte Bray die Rolle des Naiven, die ihm zugeteilt wurde. Er wartete, daß Shinza diese Form der Widerlegung aufnehmen, daß er reden würde.
    »O ja«, sagte Shinza, »ich bin bloß ein mieser Nichtstuer, der verrostet. Einer, der intrigiert. Nein, nein, nicht einer, der intrigiert, eher, der verrottet ist. Wie du willst – es liegt ganz bei dir. Ein Fall von Lungenkrebs. Andere behaupten, es sei die Leber. – Sag mal, wie geht’s dem alten Dando? Und die alte Bande, in London? Ab und zu hör ich von Cameron, wenn du ihn sehen solltest, dann sag ihm, da, wo ich bin, verwendet man Buschtrommeln, deshalb schreib ich nicht.« Das Mädchen kam mit dem Baby heraus, das jetzt wieder hellwach war, und sie saßen hoheitsvoll da, tranken noch mehr Bier und machten die Art von sinnlosen Witzen, die zwischen alten Freunden üblich ist und bei der die Anwesenheit eines Dritten nicht stört.
    Shinza ließ keinen Weg, auf dem er an ihn herangekommen wäre. Aber im Weggehen sagte Bray: »Ich komme wieder.« Es hing in der Luft, eine geschmacklose Bemerkung. Natürlich begriff Shinza, daß er vorhatte, Mweta zu sehen; aber Shinza stand bloß noch aus Höflichkeit am Schilfzaun und lächelte, seine Aufmerksamkeit schon woanders – wie das gespitzte Ohr eines Hundes, das nach hinten weist. »Bleibst du diesmal lange hier?« bemerkte er geistesabwesend zu Mwetas Gast.
    »Wenn ich glaube, daß ich was erreichen kann.«
    Shinza ignorierte die Frage, die darin lag. »Was ist es diesmal noch, James – Schulen? Was weißt du schon von der Schulmeisterei?«
    »Ich arbeite gemeinsam mit Sampson Malemba über die Schulen, das ist das eine – in Wahrheit überprüfen wir das gesamte Bildungssystem; technische Lehranstalten, Handels- und Gewerbeschulen, daran fehlt’s auch – ein bescheidener Anfang auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung für den neuen Typ von Jugendlichen, der mit der schrittweisen Industrialisierung jetzt selbst hier in Gala auftaucht.«
    Das Kalkwerk. Die Fischmehlfabrik, von der sein Fahrgast gekommen war.
    Shinza nickte.
    Unvermittelt sagte Bray: »Falls du irgendwas brauchen solltest, Edward …«
    Einen Augenblick lang standen sie da, weit auseinander.
    »Naja, die Zigarren – du hast gesagt, du besorgst mir welche aus England. Wär schön, weißt du.« Shinza lächelte.
     
    Seine Hände lagen so schwer in den Taschen seines

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