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Der Eid der Heilerin

Der Eid der Heilerin

Titel: Der Eid der Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Posie Graeme-evans
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lodernde Schlünde, die die an den Wänden befindlichen Kochstellen speisten.
    Bald sollte Anne begreifen, dass es kurz vor dem Mittagessen war. Blessing House hatte viele Münder zu speisen: die Mitglieder der Familie mit ihren Kammerdienern und Zofen, die Angestellten und Lehrburschen von Master Mathew, die ranghöheren Diener, zu denen auch Jassy gehörte, und die ihnen Unterstellten, die einfachen Dienstboten, die Knechte in den Pferdeställen, die Mägde in den Kuhställen, die Gärtner - doch im Augenblick hatte Anne nur den Wunsch, sich zu bekreuzigen und ein Stoßgebet an den heiligen Christoph zu richten, den Schutzheiligen der armen Wanderer, denn genau so fühlte sie sich.
    Aveline ignorierte den Lärm und bedeutete ihr barsch, ihr zu folgen. Dann tauchte sie in der Masse der Männer und Frauen unter. Anne war so bemüht, sie nicht zu verlieren, dass sie beinahe über ein runzeliges Kind gestolpert wäre, das unter der Last eines bis zum Rand mit Fischköpfen und Därmen gefüllten, riesigen Topfs wankte. »Platz da, du Dummkopf«, schrie eine hohe, pfeifende Stimme.
    Bei näherem Hinsehen erkannte Anne, dass das Kind in Wahrheit ein steinalter Mann von der Größe eines Knaben war und dass seine vereiterten Augen von einer tief empfundenen Bosheit erfüllt waren. Ängstlich sprang Anne zur Seite, wobei sie erneut jemanden anrempelte. »Verzeihung ... ich bin neu ...«
    »Weiß ich. Geh aus dem Weg!« Es war Melly, das dünne Mädchen aus Jassys Zimmer. Sie eilte mit einem blitzenden Fleischmesser in der Hand zu einem Mann, der ein halbes Rind zerlegte und nach Unterstützung schrie.
    »Anne!« Avelines hohe, klare Stimme durchschnitt das Getöse, und Anne eilte an ihre Seite. »Das ist Maitre Gilles. Er ist der Küchenmeister.« Anne hatte sich wieder gefangen und deutete einen leichten Knicks an, sorgsam darauf bedacht, ihr einziges achtbares Kleid nicht auf den fettverschmierten Steinfliesen vor dem Küchenfeuer schleifen zu lassen.
    »Maitre, dieses Mädchen geht mir als Kammerjungfer der Herrin zur Hand und wird Euch gegebenenfalls Anweisungen von Lady Margaret überbringen.«
    Zu ihrer Überraschung ergriff der Küchenmeister ihre Hand und küsste sie. »Mademoiselle Aveline, dieses junge Mädchen darf versichert sein, dass meine Küche allein dem Wohl von Lady Margaret und ihrer charmanten Gesellschafterin dient.«
    »Kammerzofe, Maitre Gilles, mehr nicht«, erwiderte Aveline kühl. »Komm, Anne.«
    Doch Anne, verwirrt von der Höflichkeit des Kochs, hatte Aveline nicht gehört, und als sie sich nach ihr umsah, war sie verschwunden.
    Maitre Gilles lachte laut über ihre Verwunderung, wobei in seinem schlichten, freundlichen Gesicht eine Reihe häss- licher, schwarzer Zähne sichtbar wurden. »Hier! Sieh her - Hexerei!« Er schlug mit der Hand gegen einen Stein neben dem Herd, worauf sich in der dicken Mauer eine Tür öffnete. »Du musst dich beeilen, wenn du sie noch einholen willst. Diese Treppe führt direkt in Lady Margarets Sonnenzimmer. Hinauf mit dir.«
    Das ließ sich Anne nicht zweimal sagen. Sie lief beinahe die Stufen hinauf und konnte über sich das leise Rascheln von Avelines Röcken hören, die über die Steinstufen schleiften. Die schmale Treppe wand sich bis in die obersten Stockwerke hinauf. Bis auf den Schein vereinzelter Pechfackeln, die in Eisenkelchen an der Wand befestigt waren, herrschte fast vollkommene Dunkelheit. Und es war so kalt, dass Anne, obwohl sie so schnell ging, wie ihre langen Röcke es zuließen, am ganzen Leib zitterte. Als sie keuchend um die letzte Windung bog, sah sie zu ihrer Erleichterung Aveline in einem lichtdurchfluteten Raum stehen, dessen Helligkeit ihre Augen nach der Dunkelheit blendete.
    Das Zimmer, das Anne betrat, war Welten von dem schwitzenden Durcheinander der Küche entfernt. Es befand sich hoch oben im Mittelturm von Blessing House. An den rauen Wänden hingen farbige Teppiche, und auf die blau gestrichene Holzdecke waren silbergoldene Sterne gemalt worden, die wie Sterne am Nachthimmel glitzerten. Statt der mit Holz verkleideten Schießscharten besaß das Zimmer richtige Fenster mit dick verbleiten, kleinen Glasscheiben, durch die die Frühlingssonne schien. In einem Kamin flackerte ein helles Feuer, das mit Apfelholz gespeist wurde und einen zarten Duft im Zimmer verbreitete. Es war der schönste Raum, den Anne jemals gesehen hatte. Und dort war auch ihre Herrin, der zu dienen sie eingestellt worden war.
    Lady Margaret Cuttifer lag bleich

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