Der Eid der Heilerin
William bereits vor Sonnenaufgang auf, obwohl der abendliche Trubel selten vor Mitternacht endete. Ein Mönch hatte ihm einmal erzählt, die Auswirkungen des Weins ließen sich am besten bannen, wenn man vor dem Schlafengehen möglichst viel Wasser trinke. Ein solcher Rat mutete wie reiner Selbstmord an, denn es war allgemein bekannt, dass das Londoner Wasser wegen all des in die Themse geleiteten Abfalls faulig und stets eine Quelle der Ansteckungen war. Der kluge Mönch hatte jedoch einen weiteren Rat parat gehabt. »Kocht es zuerst ab, Sir. Kocht es und lasst den Dampf mithälfe einer kalten Metallplatte kondensieren. Und das trinkt dann - das aus dem Dampf gewonnene Wasser. Es ist vollkommen sauber.« Er hatte Recht behalten, und während manche die Nase rümpften und behaupteten, das Trinken von Wasser bringe einen geradewegs zur Hölle, führte William seinen klaren Kopf auf den Genuss seines Metallwassers zurück.
An diesem unwirtlichen Morgen saß er mit erstaunlich klarem Kopf in seinem Arbeitszimmer in dem vornehmen, schwarzweiß gemauerten Neubau am Kai von St. Pauls, der mit einem schnellen Boot vom Palast aus in nur zehn Minuten zu erreichen war. Ein steter Strom von Dienstboten ging ein und aus und legte ihm Papiere zur Unterschrift vor: allesamt Anweisungen und Befehle, die es ermöglichen sollten, den Hof innerhalb der nächsten Tage auf den aufgeweichten Straßen und dem herbstlichen Fluss nach Windsor zu befördern. Im Moment war eine Unterbrechung eingetreten. Der Großkämmerer streckte sich ausgiebig und schlenderte, nur mit Kniehose und Unterhemd bekleidet, zum Fenster, wobei er sich beiläufig ein paar frische Flohstiche am Bauch aufkratzte.
Während er auf den grauen, träge unter ihm vorbeiströmenden Fluss hinunterschaute, gingen ihm allerlei Gedanken durch den Kopf. Die Königin mochte ihn nicht, so viel stand fest, aber welche Frau mochte schon den besten Freund des Mannes? Er und Elizabeth Wydeville hatten vor ihrer Heirat mit dem König miteinander zu tun gehabt. Damals war sie noch die einfache, verwitwete Lady Elizabeth Grey gewesen. Ihre mageren Ländereien grenzten an die seinen, und er hatte ihr geholfen, das Erbe ihres Sohnes Thomas den gierigen Klauen ihrer ehemaligen Schwiegermutter, der ehrwürdigen Lady Grey, zu entreißen. Vielleicht war der Grund für ihre Feindseligkeit, dass er damals einen zu hohen Preis für seine Dienste verlangt hatte.
Als Lady Elizabeth Grey hatte sie einen Vertrag unterschrieben, in dem sie sich verpflichtete, ihren Sohn bei Volljährigkeit mit einer Tochter von Hastings selbst oder seines Bruders Ralph zu verheiraten, sollte einer von ihnen innerhalb von fünf Jahren nach Vertragsabschluss Vater einer Tochter werden, oder aber ein Pfand von fünfhundert Silbermark zu entrichten - eine enorme Summe für eine Witwe mit sehr begrenzten Mitteln. Gern hatte sie das Dokument nicht unterschrieben, aber zum damaligen Zeitpunkt erschien es ihr als ein gutes Geschäft. Quid pro quo. Doch wenn er ehrlich war, hatte er schon damals gewusst, dass er den lukrativeren Teil des Geschäfts gemacht hatte.
Und da sie ihn trotz ihrer Schönheit nicht gereizt hatte, war es ihr auch nicht gelungen, ihn mit ihren Verführungskünsten von dem Geschäft abzubringen. Diese Tatsache hatte sie bis zum heutigen Tag nicht vergessen. Seltsam, wie sich das Rad des Schicksals drehte.
Er seufzte und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. Der Vertrag war kaum einen Monat vor der berühmten heimlichen Hochzeit geschlossen worden, und er hätte schwören können, dass sie damals nicht gewusst hatte, wie rasch sich die Dinge für sie entwickeln würden.
Er hingegen wusste natürlich, dass der König sie begehrte, hatte aber gedacht, es gehe - letztendlich zum Vorteil der Lady - wie üblich vorüber. Doch Elizabeth und ihre schreckliche Mutter, die verwitwete einstige Herzogin von Bedford und Tochter des Grafen Saint Pol, die später die Skandalehe mit Lord Wydeville eingegangen war, hatten es ausgezeichnet verstanden, sich beim König einzuschmeicheln. Elizabeth musste ihre Tugendkarte ausgespielt haben, eine andere Erklärung gab es nicht. Sie wollte keine Maitresse sein, was sie zwischen den Beinen hatte, würde er nur bekommen, wenn er sie heiratete.
In der Nacht zum ersten Mai - am Hexensabbat, wie diejenigen sagten, die der Königin übel wollten, und das waren nicht wenige - wurde die heimliche Hochzeit gefeiert. Lästermäuler behaupteten, sie und ihre Mutter hätten den
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