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Der Eid der Heilerin

Der Eid der Heilerin

Titel: Der Eid der Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Posie Graeme-evans
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Mathew sich nicht einmischen. Denn das würde die ganze Ordnung in Frage stellen, auf der die menschliche Gesellschaft beruhte, was Gott mit Sicherheit erzürnen würde.
    Doch während die Monate verstrichen und das Mädchen immer dünner und stiller wurde, konnte Mathew vor dem, was sich unter seinem Dach abspielte, kaum noch die Augen verschließen. Als die Schwangerschaft fortschritt, hatten er und Margaret diskret versucht, Aveline Unterstützung zukommen zu lassen und Zuversicht zu vermitteln. Doch sie wussten auch, dass jedes freundliche Wort nachts hinter verschlossener Tür von Piers mit besonderer Brutalität vergolten wurde.
    Mathews Gedanken wurden vom Geräusch scharrender Füße aus den hinteren Bänken unterbrochen. Dies war die stärkste Unmutsäußerung, die von seinen Leuten zu erwarten war, also beschloss er, es für heute genug sein zu lassen. Er suchte Vater Bartolphs Blick und schüttelte langsam den Kopf. Bartolph unterbrach seine Rede und überließ die Leute seufzend ihrer Schlechtigkeit. Mürrisch stimmte er den Segen an und hatte kaum zu Ende gesprochen, als die Versammelten aus der Kapelle strebten, so dass die beiden Männer innerhalb kürzester Zeit allein waren.
    »Ich danke Euch für die schöne Predigt, Vater. Die Leute sind nicht schlecht, müsst Ihr wissen. Sie tragen Gott in ihren Herzen, und das ist allein Euch zu verdanken. Mein Hausstand ist dankbar, dass Ihr bei uns seid.«
    Diese ungewöhnlich lange Rede Mathews überraschte den Pfarrer - und machte ihn froh. Manchmal kam es ihm so vor, als grübe er ganz umsonst nach dem Salz der Seele, als schälten Volksfeste wie der Maientag die dünne Schicht des Guten von den Menschen ab und legten die teuflischen Abgründe des Heidentums frei, die sich unter der Alltagshaut verbargen. Mit Schaudern dachte er an die Walpurgisfeuer. Die alten Bräuche starben sehr, sehr langsam.
    »Kommt, Vater, betet mit mir. Wenn es der Wunsch der heiligen Mutter Maria und der heiligen Anna ist, werden wir ein neues Familienmitglied begrüßen können, noch bevor die Freudenfeuer des Maientags voll entfacht sind. Lasst uns für die Mutter beten, für das Kind ... und den Vater.«
    Während der Pfarrer mit dem Hausherrn den Rosenkranz anstimmte, drängte oben im Haus, genau in jenem Bett, in dem es empfangen worden war, das Kind nach dem Licht der Welt. Die Wehen dauerten noch nicht lange. Sie hatten erst einige Stunden zuvor, kurz nach Mitternacht, eingesetzt. Aber Aveline war schon jetzt abgekämpft, und ihr ausgemergelter Körper war der Erschöpfung nahe.
    Die ganze Zeit über war es ihr gelungen, nicht zu schreien. Margaret und die Frauen an ihrer Seite fanden sie sehr tapfer. Sie wussten nicht, dass sie Piers nicht die Genugtuung geben wollte, sie schreien zu hören. Doch mit jeder Wehe wurde es schwieriger, das Schreien zurückzuhalten, und bald schon würde sie gegen den Schmerz anbrüllen müssen.
    Im Zimmer herrschte eine unerträgliche Hitze. Das Feuer war kräftig geschürt und die Fenster dicht verstopft worden, damit kein Hauch der üblen Stadtluft der Gebärenden und dem Kind etwas anhaben konnte. Aveline lag auf einer frisch gefüllten Strohmatratze, die mit drei abwechselnden Lagen grober Leinwand und Moos bedeckt war, um das Blut und das Fruchtwasser aufzusaugen. Sie war schweißgebadet, weigerte sich aber, ihr langärmeliges Hemd auszuziehen. Alle anwesenden Frauen - auch Anne - hatten entweder schon selbst Kinder geboren oder anderen bei der Geburt geholfen. Doch alle, obgleich selbst von Natur aus schüchtern, wunderten sich über Avelines ungewöhnliche Zurückhaltung. Für eine Gebärende, ob im Bett oder auf dem Geburtsschemel, war Bewegungsfreiheit das Allerwichtigste, und unter den Kleidern waren sie doch alle Schwestern - weshalb also sollte Aveline sich schämen? Doch als sie einen gewaltigen Schrei ausstieß und in ihrer Qual an ihrem Hemd zerrte, verstanden sie.
    Im Zimmer war es nicht sehr hell, aber das wenige Licht genügte, um ein schreckliches Bild zu enthüllen. Avelines Körper war von blauen Flecken und Beulen übersät, einige davon bereits schon älter und an den Rändern gelblich verfärbt. Sie musste oft geschlagen worden sein, auf den Leib, den Rücken und die Beine, nicht aber am Hals oder der Brust oder sonst einer Stelle, wo die Kleidung etwas hätte verraten können.
    Margaret presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, als sie Jassys Blick auffing. Sie hatte gewusst, dass die Dinge zwischen Aveline

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