Der Eid der Heilerin
Männer fort. Margaret, die den satten, selig schlafenden Säugling auf dem Schoß hielt, hatte Jassys Haushaltsbücher vor sich ausgebreitet. Melly, die am Feuer saß und ein Kleidchen für das Kind bestickte, blickte Anne ängstlich entgegen und dachte an die wilden Gerüchte, die im Haus die Runde machten - manche behaupteten, Anne hätte Aveline auf die Mauerspitzen gestoßen.
»Stell das Essen dort auf die Truhe, Anne. Melly, das hast du sehr schön gemacht.« Margaret betrachtete die feinen Stiche, die das Kleidchen umsäumten. »Pack deine Sachen zusammen und bring Edward zur Amme. Ich werde ihn später besuchen, wenn er wieder wach ist.«
Lady Margaret legte das schlafende Kind vorsichtig in Mellys Arme. Er sieht so friedlich aus, der arme Kleine, dachte Anne, während sie ein Damasttuch auf der Truhe am Fußende des Bettes ausbreitete und das Essen darauf anrichtete.
»Madam, das Essen wird kalt, wenn Ihr nicht bald zugreift.« Anne sah, dass Margaret dringend etwas essen musste. Nach den Aufregungen der vergangenen Wochen zeigten sich bereits wieder verdächtige blaue Schatten unter ihren Augen, und sie war sehr bleich. Auch sie hatte, ebenso wie Aveline, stark abgenommen, und Anne war besorgt, sie könnte wieder krank werden.
Margaret betrachtete ihr Dienstmädchen und hatte fast dieselben Gedanken. Um Anne eine Freude zu machen, versuchte sie, ein paar Happen von dem köstlichen Mahl zu essen, doch bereits nach wenigen Bissen legte sie Messer und Löffel beiseite. »Hast du unten etwas gegessen, Anne?«
»Nein, Madam, ich glaube, ich kann noch nichts bei mir behalten. Mir war so übel, nachdem ...« Sie konnte den Satz nicht beenden, und zu ihrer Schmach liefen ihr heiße Tränen über die Wangen.
»Ach, Kind, komm her.«
Anne lief in die Arme ihrer Herrin und weinte sich aus, als wäre sie ihre eigene Mutter. Margaret strich ihr übers Haar und vergoss selbst bittere Tränen über das Unglück der vergangenen Monate. Schließlich beruhigte sich Anne wieder, blieb aber neben Margaret knien. So fanden beide Frauen wieder ein wenig inneren Frieden. Nach einer Weile hörten sie die Glocken der Abtei, die die Mönche zum Gebet riefen.
Margaret seufzte. »Wir müssen bald in die Kapelle gehen. Dermot wird mit seiner Arbeit fertig sein ...«
Mit einem Blick auf die Haushaltsbücher seufzte Margaret aufs Neue. Die Ausgaben mehrten sich in letzter Zeit und würden noch weiter steigen, vor allem weil zu den Beer- dingungskosten für Piers alle Mitglieder des Haushalts noch mit schwarzer Trauerkleidung ausgestattet werden mussten.
In seinem Schmerz hatte Mathew auch davon gesprochen, eine Seelenmesse für seinen Sohn lesen zu lassen. Wenn er bei diesem Vorhaben blieb, würde er die dafür benötigten zwanzig Pfund aus seinen Geschäften abzweigen müssen, denn das Haushaltsgeld, das er Margaret für Blessing House zur Verfügung stellte, würde dafür nicht einmal annähernd ausreichen. Dazu kam noch der Grabstein für Piers, der sehr teuer werden würde, und das Geld für die Totenmesse, das Vater Bartolph und seine Helfer als Anerkennung dafür erhielten, dass sie mit ihren Gebete Piers' Seele Frieden spendeten.
So viele Entscheidungen standen an, die vor allem Mathew zu treffen hatte. Als hätten ihre Gedanken ihren Mann herbeigerufen, betrat Mathew just in diesem Augenblick das Sonnenzimmer. Anne knickste, ehe sie eilig begann, das Zimmer aufzuräumen und für die Nacht herzurichten.
»Mein lieber Mann, ich habe dir einen Vorschlag zu machen - bezüglich Aveline.«
Mathews Miene verfinsterte sich. Er ließ sich auf seinen Stuhl neben der leeren Feuerstelle fallen. Nach den Ereignissen des Vormittags war die Zeit so schnell verstrichen, dass er sich darüber noch keine Gedanken hatte machen können. Er seufzte. »Gut. Was schlägst du vor?«
»Ich finde, wir sollten sie auf Burning Norton begraben lassen.«
Mathew dachte über ihren Vorschlag nach. Burning Norton stand für seine geschäftlichen Erfolge. Er hatte das Anwesen in Yorkshire erst einige Jahre zuvor erworben. Es lag in der Nähe des Zisterzienserklosters Rievaulx und bestand hauptsächlich aus Schafweiden; Heideland, das vor wenigen Jahren noch selbst für landhungrige Edelleute von keinem großen Wert gewesen war. Doch wie die Mönche von Rievaulx hatte Mathew erkannt, welche Entwicklungsmöglichkeiten in dem Land steckten, und als der Eigentümer von Burning Norton, ein verarmter Baron, starb, hatte er dessen Witwe überreden
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