Der Eid der Heilerin
war, zu erfahren. Doch die einzige Antwort, die er erhalten hatte, waren Schweigen gewesen oder Gebete , Jesu möge sich einer armen Sünderin erbarmen. Nun durfte er nicht länger warten. Anne wusste, dass er noch an diesem Tag kommen und Aveline höchstwahrscheinlich mitnehmen würde, um sie dem königlichen Gericht und damit dem sicheren Tod zu überantworten.
Das Wetter wurde immer drückender, der Himmel war bleischwer. Die Bäume im Lustgarten ließen die Blätter hängen, da sie an eine so lange anhaltende Hitze nicht gewöhnt waren. Nur der Fluss plätscherte munter dahin, und die Rufe der Schiffer, die die Mädchen im Garten grüßten, stellten eine angenehme Ablenkung von der angespannten Atmosphäre im Haus dar.
Anne ermutigte Aveline, sich neben sie auf eine der Marmorbänke zu setzen. Auf diese Weise konnte sie verstohlen einen Blick auf die Wunde werfen. Viel konnte sie nicht mehr ausrichten, aber Anne wollte es ein letztes Mal versuchen. Sie hatte eine Salbe angerührt, die sie aus ihrer Kindheit kannte und die bewirkte, dass sich die Wundränder zusammenzogen. Die Salbe, die aus Borretsch, Beinwell, vergorenem Knoblauch und Salz zubereitet wurde, stank fürchterlich und war klebrig, aber sie half gegen Entzündungen. Die Frage war nur, wie sie Aveline dazu bringen konnte, ihre Hilfe anzunehmen. Sie nahm Avelines Hand. »Bist du durstig, Aveline?«
Aveline starrte auf ihre Füße, als störte sie etwas an den Spitzen ihrer Samtpantoffeln, sagte aber nichts.
»Hörst du mich, Aveline?« Keine Antwort. Anne beugte sich vor und sah, dass die geschwollenen Wundränder eiterten. Wenn die Salbe richtig wirken sollte, musste sie die Wunde zuvor säubern. »Möchtest ... du ... etwas ... Wasser?«
Aveline wandte sich ihr zu und blickte ihr in die Augen. »Du brauchst nicht zu schreien. Ich kann dich gut hören.«
Anne zuckte zusammen. Avelines Stimme klang vollkommen normal.
»Danke, Gott ...«, murmelte Anne. »Ich hatte solche Angst um dich ... dass ,..«
»Angst, dass ich verrückt geworden bin?« Das Mädchen lachte rau. »Nein, ich bin nicht verrückt. Ich habe nachgedacht und um Hilfe gebetet, auch wenn ich sie nicht verdiene.«
»Natürlich verdienst du Hilfe - wir alle wollen dir helfen ...«
Aveline tätschelte freundlich Annes Hand, dann verschränkte sie ihre Finger und vergrub sie im Schoß. »Mein liebes Kind. Ich war so unfreundlich zu dir.« Als Anne protestieren wollte, schüttelte sie den Kopf. »Ich will ganz aufrichtig sein. Es gibt Dinge, die ich sagen und fragen muss, solange noch Zeit ist. Wird er heute begraben?«
Anne nickte, besorgt, Avelines Redefluss zu unterbrechen.
»Wird auch Zeit bei diesem Wetter.« Wieder ertönte ihr schreckliches Kichern, das gleich darauf in einen Hustenanfall umschlug, der ihren zerbrechlichen Körper erbeben ließ. »Du musst wissen, dass ich ihn erstochen habe, Anne. Aber zuerst hat er mich geschnitten.« Sie wandte Anne ihr Gesicht zu. »Das hat er mir angetan, und ich habe zum ersten Mal die Kraft aufgebracht, mich zu wehren. Unser Herr hat mir die Kraft gegeben. Er hat zu mir gesprochen, damals in der Kapelle seiner Mutter, bei meinem Dankgottesdienst. Er hat gesagt, ich sei seine Dienerin, und er würde mir schon bald zeigen, wie ich ihm am besten dienen könne. Du musst mir glauben. Unser Heiland hat mir gesagt, ich solle sein Werkzeug für Piers' Erlösung sein - ich, die ich so unwürdig bin. Daher kann das, was ich getan habe, gar nicht falsch sein.«
Anne schwieg. Avelines Stimme klang völlig nüchtern, aber was sie sagte, bedeutete ihr Ende. Schon bald käme John Lambert, und wenn er sie fragte, würde Anne ihm sagen müssen, was sie gehört hatte. Das war eine schreckliche Last, denn ihre Aussage würde zur Verurteilung dieses armen, gequälten Mädchens führen. Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, wechselte Anne das Thema. »Aveline, darf ich mir dein Gesicht ansehen? Ich könnte den Eiter entfernen und eine Heilsalbe auftragen.«
Aveline lächelte. »Verschwende kein Mitleid an mich, Kind. Was ich getan habe, war Gottes Wille, und ich stehe unter seiner Obhut. Zu Recht trage ich die Spuren von der Klinge meines Mannes, schließlich trägt er die Spuren meiner Klinge ...« Ohne eine Vorwarnung sprang Aveline auf und lief durch den Garten zum Fluss hinunter, bevor Anne sie aufhalten konnte.
Am Ende des Gartens führten Stufen zur Ufermauer mit der Anlegestelle hinunter, wo die Boote und Lastkähne gewöhnlich anlegten. Die Mauer
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